Hauchnah
speziellen Tag kurz vor Lindsays Ermordung in einen Zusammenhang, und verbunden mit dem Beweismaterial, das uns bereits vorliegt, liefern sie uns ein starkes Argument für seine Verhaftung.“
Sie hörte auch, was er nicht aussprach. Sie hätten ein starkes Argument, wenn sie ihn endlich schnappten. Doch daran zweifelte sie nicht. Mac und Jase waren gute Polizisten. Mit Leib und Seele. Sie würden den Mörder einer Sechzehnjährigen nicht ungeschoren davonkommen lassen.
„Es beweist auch, dass der Mann, der mich überfallen hat, mit Lindsays Mörder identisch ist“, sagte Natalie. „Tja, das ist doch großartig, oder? Du hast alles, was du von mir brauchst …“Warum diese Erkenntnis sie traurig stimmte, wollte sie gar nicht wissen.
„Nicht ganz.“
Seine unerwartete Antwort ließ sie zusammenzucken. „W… wie meinst du das?“
„Die Fotos sind Beweismaterial, aber sie müssen authentifiziert werden, damit sie berücksichtigungsfähig sind. Da du diese Fotos aufgenommen hast, brauchen wir dich als Zeugin vor Gericht. Ich muss auch in Betracht ziehen, was Hanes im Taxi zu dir gesagt hat.“
„Er hat eine ganze Menge gesagt. Was genau meinst du?“
„Auch wenn er nicht alle Fotos von deinem Computer kopiert hat, besteht doch die Möglichkeit, dass er die Fotos, die ich meine, gesehen hat. Dann weiß er, dass er auf den Fotos zu sehen ist. Und Lindsay auch. Trotzdem ist er das Risiko eingegangen, zurückzukommen. Warum? Warum hat er sich darauf verlegt, dich zu entführen? Du sagtest, er wollte mit dir reden. Wollte wissen, was du weißt. Was du uns gesagt hast. Das verrät mir, dass er fürchtet, du könntest etwas gesehen haben, etwas, das auf den Fotos vielleicht nicht zu sehen ist. Ich möchte den Tag auf dem Bauernmarkt mit dir durchsprechen. Und auch die Bilder mit dir zusammen ansehen.“
„Aber ich habe dir doch schon gesagt, dass ich mich an diesen Tag nicht klar erinnere. Und ich kann keine Einzelheiten auf den Fotos erkennen.“
„Ich aber. Wir betrachten die Fotos zusammen, und ich kann dir schildern, was ich sehe. Du bist nicht allein, Natalie. Ich kann dir helfen.“ Sekundenlang ließen seine Worte sie genauso dahinschmelzen wie seine Stimme.
Sie schimpfte sich selbst eine Närrin.
Denn sie war allein. War immer allein gewesen. Allein mit ihrer Angst vor dem, was sie erwartete. Allein, als es Wirklichkeit wurde.
Ihre Fotos hatten sie das für eine Weile vergessen lassen.
Ihre Fotos hatten ihr die Illusion der Zugehörigkeit gegeben.Zugehörigkeit zu der Welt und zu den Menschen, die sie fotografierte. Jetzt blieb ihr nicht einmal das. Sosehr sie das Gefühl genossen hatte, zugehörig zu sein, wenn sie ihre Fotos schoss, zu verschiedenen Menschen und Orten auf der ganzen Welt zu gehören, war sie doch schon immer eine Außenseiterin, und jetzt mehr denn je. Jetzt konnte sie nicht einmal so tun als ob. Sie konnte nicht zu etwas gehören, das sie nicht sah, denn im Grunde existierte es nicht für sie.
Schon gar nicht konnte sie zu einem Mann gehören, dessen Stimme und Duft sie anzog, doch dessen Gesicht sie nur erahnen konnte. Wie konnte man mit jemandem zusammen sein, wenn man nicht einmal seine Augenfarbe kannte? Oder seinen Gesichtsausdruck?
„Natalie?“
Sie seufzte. „Wir können noch einmal reden, auch wenn ich nicht glaube, dass es etwas bringt. Darf ich jetzt mit Melissa telefonieren? Per Telefon kann sie mir doch nichts antun, oder?“
Sein Schweigen, bevor er antwortete, verwies auf sein Ringen um Geduld. „Ja, du kannst mit ihr sprechen, aber berichte ihr keine Besonderheiten des Vorfalls und gib ihr nicht vor, was sie sagen soll. Das ist wichtig, sonst würdest du ihre Entlastung womöglich nur hinauszögern. Ich habe nicht vor, dich auf Schritt und Tritt zu kontrollieren. Ich versuche lediglich, meine Arbeit zu tun und dich zu beschützen.“
Seine Worte hingen in der Luft und bestätigten, was sie zuvor gedacht hatte. Er tat lediglich seine Arbeit. Das durfte sie nicht vergessen.
„Danke für die Klarstellung. Ich will keine Schwierigkeiten machen. Trotz meines gestrigen Verhaltens weiß ich, dass ich für dich nur Teil deiner Arbeit bin.“
„Verdammt, so habe ich es nicht gemeint, und du …“
In seiner Stimme, einem düsteren Grollen, schwang enorm viel Hilflosigkeit mit. Natalie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie ihm Kummer machte, doch sie musste mit ihrer eigenen Hilflosigkeit fertigwerden. Mit ihrer eigenen Verwirrung.
„Bitte. Lass es. Im
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