Hauptsache, es knallt!
von weitem an.
Kann nicht mit diesem Moment einfach alles vorbei sein?, schießt es mir durch den Kopf. Ein kurzer Auftritt, Lächeln, Applaus, Fotos, fertig? Ich sehe Jil neben mir und will mich im nächsten Moment schon wieder für meinen feigen Gedanken ohrfeigen. Jetzt schon alles vorbei? Wo Janina und Markus noch nicht einmal »ja« gesagt haben? Wozu haben wir dann Frau von Weckenpitz nach Schwaben geschickt und das Ganze?
Aber ich brauche gar nicht darüber nachzudenken, ob es angemessen wäre, mich selbst zu ohrfeigen. Jil hat nämlich meine Hand genommen. Die rechte. Die, die ich zum Ohrfeigen brauchen würde, mit der linken treffe ich mich nämlich nie im Leben. Ist jetzt auch nicht so wichtig. Denn hallo? Jil nimmt einfach meine Hand und drückt sie! Mit ihren beiden Händen. Sie ist so gerührt über das lächelnde Brautpaar, dass sie einfach irgendjemandes Hand greifen muss. Aber noch bevor ich darüber nachdenken kann, wie ich das finde, lässt sie auch schon wieder los und strahlt mich entschuldigend an. Ja, entschuldigend anstrahlen, ich wusste bis eben auch noch nicht, dass das überhaupt geht. Und ja, auch das ist schön. In diesem Moment ist irgendwie verdammt noch mal alles schön.
Schließlich setzt sich das Brautensemble in Bewegung, und die wartende Menge teilt sich wie das Meer vor Moses. Der Fotoheini kriecht und hüpft im wilden Wechsel um das Brautpaar herum, aber er hat keine Chance. Janinas Rock ist viel zu lang, als dass er darunterfotografieren könnte, und Markus’ Scheitel ist von seinem Zylinder verdeckt. Wirklich ein harter Tag für einen Künstler.
Wir schließen uns dem Menschenstrom an. Die Riesenprozession schwappt Stufe um Stufe die große Freitreppe empor, während Turbo-Erich mit seinem Raketenrollstuhl an allen vorbei die Behindertenrampe hochzischt. Ein letztes Mal kommt mir der Gedanke, ob es nicht doch besser gewesen wäre, wenn wir tatsächlich einfach für den Rest des Tages vor dem Standesamt stehen geblieben wären und das Glück gefühlt hätten. Dann sind wir aber auch schon durch die Tür, und ich spüre mit einem Mal, wie mir der Puls in die Höhe schießt.
Oberster
Hochzeitsterminator
Im Foyer steht ein junger Bediensteter im Anzug, der uns den Weg zum Ja-sage-Raum weist. Schon der überwölbte Flur mit dem roten Läufer ist eine Pracht, und spätestens wenn man den historischen Trauungssaal betritt, ist man vollends verzückt, ob man Hochzeiten mag oder nicht. Ich selbst mag ja Hochzeiten. Doch. Also, ich habe zumindest nichts gegen Hochzeiten. Oder besser gesagt, also, kompliziert. Jedenfalls, der Trauungssaal ist wirklich ganz toll. Alte Sitzbänke und Polsterstühle mit geschnitzten Lehnen, holzvertäfelte Wände, ein riesiger Kronleuchter und in der Mitte zwei prächtige Sessel mit Armlehnen. Janina und Markus haben schon darauf Platz genommen. Wenn man genau hinsieht, schauen sie jetzt nicht mehr so glücklich aus wie vorhin – wenn man ganz ehrlich ist, sogar ziemlich verkrampft. Aber ist ja vielleicht auch ein bisschen viel verlangt, dass sie heute 15 Stunden am Stück in die Gegend strahlen sollen.
Ich versuche mich nicht zu sehr von der Pracht des Raums ablenken zu lassen. Schließlich sind wir ja im Dienst. Im Moment sehe ich allerdings keine konkrete Gefahr. Alle Gäste sind kreuzbrav. Selbst Diethart Füllkrug traut sich hier nur zu flüstern, und der Fotoheini benimmt sich seit einem kurzen Flurgespräch mit Markus nun doch etwas dezenter. Umso mehr sollten wir jetzt die Gelegenheit nutzen, die einzelnen menschlichen Gefahrenquellen in Ruhe aus der Nähe zu studieren.
»Pst, Patrick, dieses junge, schulterfreie, weintraubenfarbene Kleid mit den hohen Absätzen und den knallbunten Plastikohrringen da drüben, ist die nicht auch auf unserer Liste?«
»Moment, ich schaue nach … Hier: Sinja Gumelsbach , Janinas Nichte . Risikoklasse: zwei . Potentielle Zerstörungskraft: Oha! Neun! Waffen: Komplett durchgeknallte Gaga-Ideen. Brütet diese aus heiterem Himmel aus und setzt sie sofort um . Auslösende Faktoren: Alles und nichts . Gegenmittel: Hoffen und Beten. Anmerkungen: Pubertät im Endsta…«
»Pssst!«
Es wird ernst. Herr Tschymbowski ist an den großen Tisch getreten, der vor Janinas und Markus’ Sesseln steht. Er ist jetzt wieder ganz der Alte. Zwar hat er sein Dienstlächeln aufgesetzt, doch wenn er gerade nicht daran denkt, fallen seine Mundwinkel sofort wieder in ihre angestammte Position zurück. Aber das ist
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