Hauptsache, es knallt!
einfach alle noch mal kurz durchschnaufen und Kräfte tanken.
Jil ist jetzt wieder frei. Sehr gut. Ich habe bereits das rechte Bein für den ersten Schritt in ihre Richtung in der Luft, als ich ganz am Rand meines Blickfelds etwas Merkwürdiges sehe. So merkwürdig, dass ich mitten in der Bewegung abstoppe. Das Gesicht des Pfarrers, eben noch ein Abbild der Menschlichkeit und Güte, hat sich nämlich mit einem Schlag verwandelt. Er guckt nunmehr so drein wie ein Revolverheld kurz vor dem tödlichen Duell. Vielleicht muss er diesen Blick üben, geht es mir kurz durch den Kopf. Nur für den Fall, dass gleich jemand bei der Trauung stört. Aber nein, die kalten Strahlen, die zwischen seinen zusammengekniffenen Augenlidern hervorschießen, gelten Herrn Mitscherlich. Er wird, man kann es nicht anders sagen, vom Blick des Pfarrers an der Kirchenwand festgenagelt.
Ich lasse mein Bein mitten im Schritt in die entgegengesetzte Richtung umschwenken. Wenn das jetzt einer gesehen hat, wird er diese Bewegung sicher als recht eigenwilligen Ballettschritt interpretieren und sich fragen, was das soll. Ist mir aber egal. Nur eine beherzte 180-Grad-Wendung bringt mich zeitig genug in die Hörweite des Pfarrer-Mitscherlich-Zwiegesprächs, um den Anfang nicht zu verpassen.
»Nun zu uns beiden, Mitscherlich.«
Der allerletzte Fussel
Nun zu uns beiden, Mitscherlich.
Wow. Was haben die beiden denn am Laufen? Und was wird Markus’ Vater antworten?
Kann es kaum erwarten, Kühlbrodt? Zieh dich warm an, Talarhansel? Ich hoffe du hast gebetet, Dickwanst?
Aber nein, Herr Mitscherlich ist genauso überrascht wie ich. Deswegen antwortet er auch mit einem kehligen »Wa…? Wa…? Wa…? Wieso?«
»Kennen Sie das hier?«
Pfarrer Kühlbrodt holt ein paar DIN-A4-Blätter unter seinem Talar hervor. Herr Mitscherlich guckt drauf.
»Ein … Leasingvertrag?«
»Gut erkannt.«
Ich linse zwischen den Buchsbäumen hindurch und erkenne das Logo des Autohauses Mitscherlich auf dem Papier.
»Sie … Sie sind also Kunde bei uns? Da … das freut mich.«
»Mich aber nicht.«
»Oh, also … Sie sind nicht zufrieden?«
»Nein, das bin ich nicht. Das bin ich überhaupt nicht.«
»Da … das tut mir leid. Darf ich fragen, warum?«
»Ach, nur ein paar Kleinigkeiten, nichts Besonderes. Nehmen wir die Restwertklausel. Schauen Sie hier: fünfzehntausend Euro. Ganz schöner Batzen für einen kleinen Opel Astra, nicht?«
»Nun …«
»Und besonders tüchtig von ihrem Mitarbeiter, dass er diesen Restwert auch noch mit einer Andienungsklausel kombiniert hat, was? Aber das musste ich mir auch erst einmal von der Verbraucherschutzzentrale erläutern lassen, was das heißt.«
»Also …«
»Und ich weiß, ich bin jetzt wirklich meckerig, aber einen Mehrkilometersatz zu vereinbaren, aber gleichzeitig keinen Minderkilometersatz, das ist nicht wirklich guter Stil, oder?«
»Ich …«
»Aber mit dem kleinen dicken Provinzpfarrer aus Walchenau kann man es ja machen, gell?«
»Wir …«
»Hier, bitte, lesen Sie sich die Fetzen ruhig mal durch. Ich muss jetzt arbeiten. Wichtiger Job, wissen Sie? Eine Trauung.«
Ende der Durchsage. Pfarrer Kühlbrodt stampft von dannen. Ich sehe noch, wie er wieder sein gütiges Gesicht aufsetzt, das er wohl immer trägt, wenn er sich gerade nicht mit Mitscherlich-Leasingverträgen auseinandersetzt. Er strahlt mit großer Milde in die Menge und gibt ihr einen Wink, dass der Einzug in die Kirche beginnen kann.
Der Organist dröhnt den Einzugsmarsch. Der Menschenstrom setzt sich in Bewegung. Henriette fuchtelt rum, dass ich auch kommen soll, aber ich halte lieber noch ein wenig meine Position hinter dem Buchsbaum und beobachte Markus’ Vater. Der lehnt mit knallrotem Kopf an der Kirchenwand und starrt auf den Leasingvertrag, den sein Mitarbeiter ausgehandelt hat. Und erstaunlich, Pfarrer Kühlbrodt ist hier anscheinend nicht der einzige Mann mit zwei Gesichtern. Herr Mitscherlich hat das ebenfalls ganz toll drauf. Er liest einen Absatz und grinst erst mal. Man kann fast erkennen, wie er in Gedanken seinem Mitarbeiter auf die Schulter klopft. Im nächsten Moment fällt ihm wieder ein, wo er gerade ist und was hier gerade passiert. Dann sinken seine Mundwinkel sofort wieder nach unten, und Schweiß tritt auf seine Stirn. Nach einer kurzen Pause liest er den nächsten Absatz, muss wieder grinsen, und das Spiel beginnt von vorne.
Nach drei Absätzen tritt Markus zu ihm. Sein Vater ist gesichtstechnisch gerade in
Weitere Kostenlose Bücher