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Hauptsache, es knallt!

Hauptsache, es knallt!

Titel: Hauptsache, es knallt! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Sachau
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auf dem Hals hat. Faszinierend. Erst als ich Jils Stimme höre, fällt mir wieder ein, wo wir gerade sind und warum.
    »Frau von Weckenpitz, ich …«
    »Eigentlich heißt es Freifrau von Weckenpitz , aber das nehme ich nicht so genau. Was ist denn los, Kindchen?«
    »Ich wollte nur noch einmal fragen, also, nur so, uns ist eine Frau Talsdorf als Ihre Vertreterin für den Abend angekündigt worden, und …«
    Frau von Weckenpitz wühlt intensiv in irgendwelchen Schubladen, schafft es aber trotzdem, nebenbei zu antworten.
    »Ja, Kindchen, das ist völlig richtig. Eigentlich hätte ich heute einen wichtigen Termin gehabt. Aber ich habe ihn heute Morgen schweren Herzens abgesagt, weil … Also, das verstehe ich nicht, hier muss sie doch irgendwo sein. Nie findet man etwas, wenn man es braucht.«
    »Hm, also … Warum haben Sie den Termin denn abgesagt?«
    Frau von Weckenpitz unterbricht nun doch das Gesuche und richtet sich auf.
    »Wollen Sie es wirklich wissen, Kindchen?«
    »Och, ja, nur so, warum nicht?«
    Schon lustig. Frau von Weckenpitz schaut auf einmal drein wie eine Märchenerzählerin, die nun zu der Stelle kommt, als der kleine Hirtenjunge viel zu weit in den finsteren Wald hineingelaufen ist und auf einmal eine tiefe, unheimliche Stimme hört.
    »Stellen Sie sich vor, ich hatte heute Nacht einen fürchterlichen Traum. Überall waren Blitze am Himmel, und das Schloss stand in Flammen. Ich bin zwar nicht abergläubisch, aber nach diesem Erlebnis konnte ich einfach nicht weg. Ich bin ein Mensch, der seine Entscheidungen auch manchmal mit dem Herzen fällt, wissen Sie?«
    »Ich verstehe.«
    »Es ist zum Verzweifeln, ich kann sie nicht finden.«
    »Ist schon in Ordnung, Frau von Weckenpitz. Ich brauche wirklich keine Augenklappe. Wenn Sie nur was zum Kühlen …«
    »Sehen Sie, junger Mann, jetzt machen Sie den Fehler, den die meisten Menschen machen. Sie denken nicht in Zusammenhängen.«
    »Nicht?«
    »Haben Sie schon einmal überlegt, was für ein unappetitlicher Anblick Ihr Gesicht für die anderen Gäste ist? Sollen die Menschen sich an den 21. 8. 2012 als den Tag einer wunderschönen Hochzeit erinnern oder als den Tag, an dem sie dauernd einen jungen Mann betrachten mussten, der offenbar gerade von einer Kneipenschlägerei kam? Wissen Sie, was ich meine? Man muss immer das ganze Bild vor Augen haben. Und deshalb tragen Sie hier bitte schön eine Augenklappe. Darüber wird jetzt nicht mehr diskutiert.«
    »Aber heute ist doch gar nicht der 21. 8., heute ist der 21. 7.«
    »Seien Sie mir nicht böse, aber Zahlen bringe ich gerne einmal durcheinander. Zahlen sind letztlich etwas völlig Bedeutungsloses, zumindest für einen Menschen mit kultiviertem Geist.«
    Noch während sie spricht, wendet sie sich von mir ab, schnappt sich den Hörer ihres Telefons und drückt eine Taste.
    »Herr Unzicker, kommen Sie bitte.«
    Fast im gleichem Moment steht wie aus dem Nichts ein etwa fünfzigjähriger Mann mit schwarzem Anzug, dünn gestreiftem Hemd und akkurat in Form gebrachten grauen Haaren in der Tür.
    »Herr Unzicker, dieser Mann braucht eine Augenklappe. Ich weiß, dass wir eine haben, aber mir fehlt jetzt die Zeit zum Suchen. Übernehmen Sie das bitte.«
    Und damit rauscht sie ab. Ich sage Jil und Henriette, dass es okay ist, wenn sie mich alleine lassen, und sie rauschen ebenfalls ab. Herr Unzicker mustert mich schweigend. Unangenehm, dieser Blick. Es dauert eine kleine Ewigkeit. Schließlich sagt er »Wartense hier« und verschwindet. Also echt, höflich geht anders, denke ich mir, während ich mich schnaubend auf Frau Weckenpitz’ Chefsessel fallen lasse. Aber da war etwas, das mich noch viel mehr an ihm gestört hat. Seine Stimme klang genau so wie die der Stasis und Vopos, die man aus den ganzen Filmen mit DDR und so kennt. Irgendwie fühle ich mich unbehaglich.
    Und es dauert. Wenigstens habe ich die Überwachungsmonitore, um mir die Zeit zu vertreiben. Ich sehe die große Terrasse, auf der sich viele Gäste eingefunden haben. Alle gucken verzückt drein. Der Schlossgarten muss wohl wirklich ein atemberaubend schöner Anblick sein. Im nächsten Moment kommt Frau von Weckenpitz von der Seite ins Bild. Sie rollt mit den Augen und scheucht mit weit ausholenden Armbewegungen die Leute, die sich auf die steinerne Balustrade gesetzt haben, von dort herunter.
    Anschließend verschwindet sie am linken Bildrand des Terrassenmonitors und taucht im gleichen Moment am rechten Bildrand des Grüner-Saal-Monitors

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