Hauptsache, es knallt!
hier aus höre ich nur Gemurmel. Hin und wieder knallt Tante Ottis Lachkreischen heraus. Fast so schlimm wie Diethart Füllkrugs widerliche Kanonenbrüller. Reife Leistung für ihr Alter, muss man echt sagen. Und ab und zu einzelne Schreie aus verschiedenen Richtungen. Hat Turbo-Erich jemanden mit seinem Rollstuhl geschnitten? Oder hat Nichte Sinja irgendwo eine große Gummispinne ausgesetzt? Oder sind es doch nur harmlose Ausrufe der guten Laune? Ich weiß es nicht … Da, die Glocke klingt! Alle werden still. Ist das schön. Kann das nicht für immer so bleiben? Janinas Vater sagt ein paar Worte. Und jetzt ist er schon wieder fertig. Ich glaube, ich kann sogar bis hierher hören, wie sich dieses Monster von Füllkrug gerade unter dem Tisch die Hände reibt, weil er sich so auf seinen Superhöllendoppelriesenscherz mit der Stripperin in der Hochzeitstorte freut. Und auf Markus’ Gesicht, wenn sie auf seinem Schoß sitzt. Und auf Janinas Gesicht, wenn er ihr dazu auf die Schulter haut und »Komm, lach doch mal! Spass muss sin, Mädche! Hhhhhh!« grunzt. Na warte.
Ich zähle bis drei. Dann beginne ich mich langsam aufzurichten, bis ich oben anstoße. Hoffentlich verpatzt Jil den Einsatz nicht, ist mein letzter Gedanke, dann drücke ich den Deckel der Torte über mir weg und schnelle mit einem Ruck aus meinem Versteck in die Höhe.
»ARRRRR!«
Warum? Warum ich? Egal.
»Ich bin Captain Timmi, der lustige Hochzeitspirat!«
Ich schaue in die verdatterte Runde. Füllkrug, wo bist du? Ich will dein Gesicht sehen! Leider habe ich keine Zeit, lange nach ihm zu suchen. Ich stehe mitten in einer Hochzeitstorte, trage eine Augenklappe, habe meinen Schlips als Stirnband um den Kopf gebunden und mein Hemd bis zum Bauchnabel aufgeknöpft. Außerdem stecken in meinem Gürtel ein paar Kuchengabeln, und mit der rechten Hand schwinge ich das Schwert, das ich mir von einer der Ritterrüstungen im Foyer ausgeliehen habe. Okay, also, hier steht eine Witzfigur von Pirat in einer Torte. Aber warum? Die Leute wollen Antworten.
Mist. Ich habe meinen Text vergessen. Bülent hatte sich was richtig Gutes überlegt, was ich in die Menge rufen soll. Irgendwas mit Landratten, Seemannsgarn und Hochzeit entern. Ich kriege es nicht mehr hin. Diese Stille. Ich muss was sagen.
»Tjaha! … Also … Ihr fragt euch wohl, was hat ein Pirat in Janinas und Markus’ Hochzeitstorte verloren? Hoho! … Also, ganz ehrlich, es … es ist völliger Schwachsinn. Aber, hey! Machen wir einfach das Beste draus! Galgenstrick, Höllenhunde und … so!«
Und wieder ist auf Jil Verlass. Genau jetzt, als ich mit meiner nicht besonders klugen Rede fertig bin und mit einem Riesensatz aus der Torte springe, beginnt die Titelmelodie aus »Fluch der Karibik«, exakt, wie wir es geplant hatten. Henriette, Bülent und Patrick haben um mich herum Position eingenommen.
Henriette zählt leise ein, und wir setzen perfekt synchron mit unserem Formationstanz ein, den wir vor vielen Jahren in diesem Kurs gelernt haben, in dem Janina und ich auf sie und Bülent getroffen sind. Und natürlich haben wir ihn später noch Patrick und Markus beigebracht. Der Fluch-der-Karibik-Tanz ist sozusagen das zentrale Bindeglied unserer Freundschaft. Und deswegen passt er super hierher, und keiner wird irgendwelche Fragen stellen. Zum Glück ist der Anfang ganz einfach. Vor, vor, rechts, linker Arm über den Kopf, Kopf nach hinten, zurück, zurück. Dass wir Patrick in unserer Reihe haben, ist natürlich der Clou. Wenn so ein Koloss wie er anfängt, Formationstanz zu machen, meine Herren, da fallen die Leute reihenweise vor seiner Niedlichkeit in Ohnmacht. Ein paar Gäste johlen, andere sind begeistert aufgesprungen, aber die meisten lächeln uns einfach nur breit an und schütteln wohlwollend-ungläubig ihre Köpfe. Man soll sich ja nicht selber loben, aber hey, dafür, dass wir nur ein paar Minuten hatten, um uns das alles auszudenken, ist das doch ein Riesenerfolg. Ich weiß nicht, warum Jil hinter dem DJ-Pult so wehmütig guckt. Ja, die Musik von »Fluch der Karibik« ist kein Einhorngesang, aber muss doch auch nicht sein. Wir haben die Stripperin verhindert und machen nun das Schwachsinnigste und Genialste, was wir je getan haben. Ich fühle mich großartig.
Jetzt kommt die Drehung um 180 Grad. Wir tanzen auf Janina und Markus zu, die immer noch etwas verdattert dastehen und zu zweit das riesige Messer halten, mit dem sie gerade die Torte anschneiden wollten. Aber ich sehe,
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