Hauptsache, es knallt!
Piratenblick zu. Endgültig überzeugt ist Kurt aber erst, als Patrick ihm etwas ins Ohr flüstert. Ich weiß nicht genau, was, aber er guckt so, als ob er nun weiß, dass Gedeih und Verderb dieser Hochzeit ganz von ihm abhängen.
»Äääääähm ja, also, die Rede, ne.«
Kurts Frisur hat sich bis jetzt bestens gehalten. Jede einzelne Zottel liegt perfekt in Form. Auch der graue Cut sitzt noch genauso stramm wie auf dem Standesamt, keine Flecken, keine Löcher, nichts. Wirklich alles gut. Jetzt müsste er halt nur mal einen geraden Satz herausbringen. Hätte Jil doch lieber die Rede von Markus' Vater angekündigt, oder, noch besser, Bülent als guten Freund des Paars. Der schüttelt so was ganz spontan aus dem Ärmel. Aber nein, es musste der Trauzeuge sein. Blödes Traditionsdenken.
»Also, ähm, ich sag mal so, ne, also, Hochzeit und so, hmmm, da fällt einem schon einiges dazu ein, nicht wahr?«
Das war gut, Kurt! Wirklich! Komm, weiter jetzt!
»Ich, joa, na, also ich fang dann mal so an … hmmm …«
Mist, wenn er nicht die Kurve kriegt, dann endet das hier ganz schnell doch noch in einem Bananentanz. Noch gähnt keiner, aber sie werden ungeduldig. Seit »Vier Hochzeiten und ein Todesfall« sind die Erwartungen an eine Trauzeugenrede ziemlich hoch.
»Hmmm, ja, ne … Oh, ich habs!«
Yes!
»Das war nämlich so, ich war ja dabei, als Markus und Janina sich kennengelernt haben.«
Na wunderbar! Mit dem Kennenlernthema kann man notfalls drei Trauzeugenreden bestreiten. Warum hat er nur so lange gebraucht, um darauf zu kommen? Egal. Ich schnaufe durch.
»Das war nämlich auf einer Party, ne. Da waren wir noch in der Zwölften und die Andrea Lackmeier hat sturmfreie Bude gehabt, ihr wisst schon, so wie in ›Die Partyschlenzer‹ Teil drei, nur die Salzminden-Version halt. Also, wo war ich stehengeblieben? Ach ja, Party, Andrea Lackmeier, ne. Ich weiß noch genau, wie Markus und ich ankamen. Waren so drei, vier Straßen von der Bushaltestelle, aber wir haben es schon von weitem gehört. Ist ja ein riesiges Haus, das von den Lackmeiers, voll so ›Citizen Kane‹-mäßig. Aber trotzdem voll bis unter die Decke mit Leuten, ne, so wie in ›Kevin mal nicht allein zu Haus‹. Wir also rein und erst mal in den Flur. Da standen der Heinz, der Flipso und der Schulle. Wir so ›Hallo‹, dann Heinz auch so ›Hallo‹ und Flipso auch …«
Ooookay. Das hier droht zwar das größte Desaster der Langeweile seit »Die schönsten Bahnstrecken Deutschlands« zu werden, aber das ist nicht weiter schlimm. Das Gute: Egal, wie lange es dauert und wie öde es ist, keiner hat das Recht, während der Rede des Trauzeugen einen Bananentanz loszutreten. Und das andere Gute: Kurt wird noch sehr, sehr lange brauchen, bis er erzählerisch bewältigt hat, wie er und Markus sich auf Andrea Lackmeiers Party bis zu Janina vorgearbeitet haben. Und diese Zeit können wir prima für unsere Anti-Bananentanz-Vorbereitungen nutzen. Wir stecken die Köpfe zusammen und verteilen die Aufgaben. Jil kriegt Bülents Autoschlüssel und wird beauftragt, das Zeug zu holen, das wir brauchen. Sie verdrückt sich leise aus dem Raum. Hoffentlich schafft sie es schnell genug.
»… und dann haben sich Nilia und Socke noch dazugesetzt. Und dann hat Flipso den dritten Joint gebaut. Jetzt weiß ich gar nicht mehr, war das das Zeug vom Schulle oder hat das der Serkan mitgebracht. Hmm, ist jetzt vielleicht auch gar nicht so wichtig, weil, genau, es geht ja eigentlich um Janina und Markus und wie sie sich kennengelernt haben, ne. Also, wir dann erst mal so den dritten Joint geraucht, der Flipso, der Schucki, der Tobse, der Kanti, die Nilia, die Socke, der Markus und ich. Und Kanti dazu Gitarre gespielt. War irgendwie so ne Stimmung wie in ›Der Alfons, der Detlev, sein Bruder und das Känguru‹. Und Kanti hat so ein Lied gespielt, von dingens, na, mir fällts gleich ein …«
Es dauert. Und dauert. Tante Otti und der Kunstfotograf tauchen irgendwann wieder auf. Beide sehen jetzt anders aus. Was haben die Russen auf dem Parkplatz mit ihnen gemacht? Im Gesicht des Fotomanns fehlt auf einmal die latent-aggressiv-beleidigte-Leberwursthaftigkeit, und auch Tante Otti wirkt nicht mehr so hyperaktiv wie noch vorhin am Tisch. Ich weiß nicht, ob ich russische Gehirnwäschemethoden allgemein gutheiße, aber heute finde ich sie ganz okay. Trauzeuge Kurt hat sich inzwischen in einen Rausch geredet. Sieht so aus, als hätte er alles um sich herum vergessen. Er
Weitere Kostenlose Bücher