Hauptsache, es knallt!
als ich auf den spitzen Stahl vor meinem Kinn blicke, der im Schein des Kronleuchters bedrohlich aufblitzt. Noch weiß keiner, wie scharf das Ding wirklich ist, aber jetzt, so kaum eine Armlänge von meinem Hals entfernt, habe ich ganz schön Angst. Sie wird es doch nicht wirklich benutzen, oder? Sie hat es doch nur in der Hand, um ihrem Geschrei mehr Nachdruck zu verleihen, nicht wahr? Oder liege ich da ganz falsch?
»Frau von Weckenpitz.«
Jil! Ja, bitte, tu etwas!
»Bleiben Sie ruhig, Kindchen, in fünf Minuten ist das Pack hier draußen.«
»Ich wollte Ihnen nur sagen, da machen sich gerade ein paar Leute über Ihren Weinkeller her.«
»WAS?!!!«
Und als würden wir alle nicht mehr existieren, als hätte es hier nie primitive Trommelmusik, unkultivierte Menschen und einen animalischen Bananentanz gegeben, dreht sich Frau von Weckenpitz auf dem Absatz um und stampft, das Schwert fest mit beiden Händen gepackt, aus dem Saal in Richtung Kellerabgang. Jil und Stasi-Unzicker trippeln hinterher. Wer auch immer es ist, der sich da gerade am Weckenpitz-Wein vergreift, ich möchte jetzt nicht in seiner Haut stecken. Vor allem bin ich den Weinplünderern aber dankbar. Meine Situation hat sich durch sie entschieden verbessert. Ich atme durch und drehe mich zu Janina um.
»Puh, da sind wir ja noch mal mit dem Leben davon …«
Aber Janina steht gar nicht mehr hinter mir. Sie sitzt wieder am Tisch. Ihr Gesicht hat sie hinter ihren Haaren versteckt. Markus und ihre Mutter kauern neben ihr und reden sanft auf sie ein. Es ist zum Verzweifeln. Wir sind angetreten, um die Hochzeit zu retten, und wir haben es mit allen Kräften versucht. Aber wir sind gescheitert. Im Moment stellt sich nur noch die Frage, ob wir sofort gehen oder ob wir warten, bis die Schlossziege wieder aus dem Keller zurück ist und uns eigenhändig rausschmeißt. Und es spricht eigentlich alles dafür, sofort zu gehen. Einen weiteren Auftritt der Weckenpitz braucht hier keiner auf die Ohren.
»Okay, hört mal kurz zu. Ich schlage vor, dass …«
Weiter komme ich nicht, denn in diesem Moment kommt Jil zurück durch die Tür. Allein. Alle drehen sich zu ihr um. Sie sieht müde und abgekämpft aus. Und unzufrieden. Das ist allerdings schwer zu verstehen, wenn man den Satz hört, den sie als Nächstes sagt.
»Ich habe die Weckenpitz und den Unzicker im Weinkeller eingeschlossen.«
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General Wiese
Die gute Jil! Sie ist aber auch ein raffiniertes Biest. Lockt die beiden einfach in den Keller. Nach der ganzen »Ja, Frau von Weckenpitz«-Nummer in den vergangenen Stunden habe ich ihr so was gar nicht mehr zugetraut.
Der Jubel kennt keine Grenzen. Bülent legt »I feel good« von James Brown auf, die Leute rufen wild durcheinander und schenken sich literweise Wein und Wodka ein. Selbst der beschmadderte Füllkrug ist wieder aufgestanden und lacht über das ganze Gesicht. Warum haben wir das mit dem Einsperren eigentlich nicht schon viel früher gemacht?
Ich gehe zum Oberkellner und bitte ihn, noch schnell den Nachtisch zu servieren, bevor die Party so hochkocht, dass es keinen mehr am Tisch hält. Den Passionsfruchtpudding mit Macadamiamousse sollten wir uns als Lohn für die ganzen Mühen wirklich nicht entgehen lassen. Vor allem Janina wird er guttun. Vielleicht sollte ich ihr dazu noch ein Gläschen von Vladimirs Wodka vorbeibringen?
Aber während ich darüber nachdenke, bietet sich mir ein Anblick, der mich selbst schleunigst nach einem Glas Wodka greifen lässt. Kann denn nicht einmal einen Moment lang alles in Ordnung sein? Aber nein, Regula Richter, das betrunkene Huhn, das durch die Sankt-Martinhafte Gnade von Herrn Unzicker nun ein Revuetänzerinnenkleid trägt, ist auf den konservativen Tisch geklettert. Und tanzt dort Cancan. Ich hänge mich jetzt nicht daran auf, dass Cancan kein passender Tanz zu »I feel good« ist. Nein, im Gegenteil, warum eigentlich nicht? Das soll wirklich jeder für sich entscheiden.
Aber Cancan ist nun mal der Tanz, bei dem die Beine hochgeworfen werden und alle einem unter den Rock schauen können. Und allein schon deswegen kann man sich darüber streiten, ob das die passende Nummer für eine Hochzeit ist, auf der die Braut gerade kurz vor dem finalen Nervenzusammenbruch steht. Wenn dann noch hinzukommt, dass die Tänzerin keine Unterwäsche trägt, nun ja. Aber Regula hat es natürlich auch nicht leicht, immer alleine mit den drei Kindern. Und, auch klar, man soll die Feste feiern, wie sie
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