Hauptsache nichts mit Menschen (German Edition)
jedem Straßenzug Berlins mindestens ein Beleg dafür, dass Schwarmintelligenz keine allzu menschliche Eigenschaft ist. Und alles, was es dazu bedarf, ist eine Wohnung im vierten Stock, eine Waschmaschine und vier bis sieben junge Männer, die alle etwas mit Medien gelernt haben.
Nun verhält es sich mit der Intelligenz der Massen wie mit dem Lecken des eigenen Ellenbogens. Die meisten Menschen wissen, dass es nahezu unmöglich ist, und trotzdem denken gerade 73 Prozent aller Leser dieses Textes darüber nach, es unauffällig auszuprobieren. Besonders Männer scheinen sehr dazu zu neigen, Herausforderungen, die ein geistesklarer Mensch umstandslos alleine erledigen könnte, lieber in Schwärmen zu lösen. Das ist ein sehr häufig auftretendes Phänomen in unserer patriarchalen Gesellschaft. Sei es das Auswechseln eines Autoreifens, das Konfigurieren eines WLAN-Routers oder das Anzünden eines Holzkohlegrills für 19,95 Euro. Besonders Letzteres vermag die meisten Männer stundenlang zu beschäftigen. Ich persönlich bin seit einiger Zeit der festen Überzeugung, dass eine nur sehr geringe Anzahl an Holzkohlegrills durchaus genügt hätte, den Ersten Weltkrieg zu verhindern.
Das häufigste Beispiel der männlichen Affinität dazu, eine kleine alltägliche Herausforderung in Schwärmen zu lösen, ist dagegen das Beladen eines Umzugswagens. Nicht vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich, sondern vor einem Pritschenwagen von Robben & Wientjes oder Europcar. Alter, Herkunft, Nationalität, gesellschaftlicher Status und religiöse Überzeugung – im Endeffekt wird es immer so aussehen, dass der grobmotorischste Umzögling von allen hilflos auf der Ladefläche steht, während 15 andere aus einer sehr sicheren Entfernung lautstark Kommentare in die Runde werfen.
Auch nach Jahren ist mir dieses Szenario von allen großstädtischen Episoden das Liebste geblieben. Und manchmal, hin und wieder, gönne ich mir den Luxus, das verstörende Treiben von einem kleinen rumänischen Bettlerjungen und seinem Akkordeon musikalisch untermalen zu lassen. Denn wenn 15 Naturwissenschaftler Mitte 30 gemeinsam einen Umzugswagen beladen, dann braucht das schon ein bisschen Musik, um zumindest in Ansetzen anmutig auszusehen.
MONTAG
Zu meiner eigenen Überraschung hatte ich vorletzte Nacht Sex mit einer Frau. Nun gibt es eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass ich mir diesen Eintrag in ein paar Jahren nicht mehr glauben werde. Aus diesem Grund habe ich beschlossen, ihn morgen einfach zu wiederholen
.
DER SCHATTEN
Ich
Ah. Endlich! Los, komm rein!
Karsten
Also. Was ist es diesmal?
Ich
Hast du ein Taxi genommen?
Karsten
Nein.
Ich
Bitte sag mir, dass du nicht extra ein Taxi genommen hast.
Karsten
Nein, habe ich nicht. Was ist denn jetzt?
Ich
Ich kann dir das Geld zurückgeben, wenn du willst.
Karsten
Ich habe kein Taxi genommen!
Ich
Du warst so schnell. Du hast doch bestimmt ein Taxi genommen.
Karsten
Ich habe den Nachtbus erwischt. Also.
Ich
Du hast den Nachtbus genommen!? Liest du keine Zeitung!? Weißt du nicht, wie gefährlich es in dieser Stadt geworden ist, den Bus zu nehmen? Du hättest ein Taxi nehmen sollen!
Karsten
Was ist denn jetzt! Warum musste ich um drei Uhr morgens hier rauskommen?
Ich
Hör auf, das zu sagen.
Karsten
Was zu sagen?
Ich
»Hier raus.«
Karsten
Was ist denn so schlimm an »hier raus«?
Ich
Ich kann es nicht leiden, wenn die Leute »hier raus« sagen. Das ist der Wedding, Herrgott, und nicht Alt-Glienicke oder Klein-Machnow. Ich wohne außerhalb des S-Bahnrings, aber doch nicht in Königs-Wusterhausen.
Karsten
Paul! Es ist jetzt drei Uhr morgens, ich muss in fünf Stunden zur Arbeit. Ich habe meinen ersten Patienten um halb neun! Ich muss schlafen!
Ich
Und ich brauche einen Arzt. Du bist der einzige Arzt, den ich kenne!
Karsten
Was ich immer noch nicht so recht glauben kann. Immerhin bist du der größte Hypochonder, den ich jemals kennengelernt habe.
Ich
Ich bin doch kein Hypochonder!
Karsten
Und was war letztes Jahr, Weihnachten? Als du dachtest, du hättest innere Blutungen?
Ich
Ich hatte eine ungewöhnlich harte Bauchdecke.
Karsten
Du dachtest, du hättest ein Aortenaneurysma!
Ich
Was auch hätte sein können!
Karsten
Sagt wer?
Ich
Wikipedia!
Karsten
Oder Ostern? Als du dachtest, du hättest einen Knoten in deiner Brust!
Ich
Na und?
Karsten
Na und!? Ich habe es damals gesagt, und ich sage es wieder: Du hast keine Brust. Noch nicht mal eine Männerbrust. Du hast die Figur eines nackten gerupften bulimischen
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