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Haus aus Erde

Haus aus Erde

Titel: Haus aus Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Woody Guthriie
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geweht, die Wolken waren zu schnell, zu hoch vorübergezogen, die Nacht zu kalt gewesen, als dass sich Schnee hätte bilden können. »Ein blauer Blizzard ist kein blauer Blizzard, solange es kein Schneetreiben gibt«, sagte sie zu sich selbst. Aber ihre Worte mussten lauter gewesen sein, als sie dachte, denn Ella May überspielte ihre Schmerzen mit einem Lächeln und erwiderte, das Glasröhrchen im Mund: »Scholang schisch der Schschnee nisch zu Tode weht, isches kein eschter blauer Blizzard.« Und Blanche legte die Hand auf Ellas Stirn und sagte: »Versuchen Sie, nicht zu reden. Sie verschlucken mir noch das Thermometer. Ich habe kein anderes.«
    Und durch das Schneetreiben hindurch hörten sie wieder das Klirren der Schaufel, die Tike jetzt am Stall in tiefere Erdschichten stieß.
    »Dasch schind meine Glocken. Hörscht du?« Ella erstarrte.
    »Ich habe gesagt, Sie sollen still liegen bleiben. Seien Sie ruhig. Ich höre keine Glocken. Ich höre nur Tike, der oben im Dachstock mit seinen Traktorteilen herumhantiert. Würden Sie bitte, bitte ruhig sein, Ella May, wenigstens für eine Weile? Ich möchte sehen, ob Sie Fieber haben. Still.«
    »Dass Tike aber auch dauernd mit diesen alten Teilen herumhantieren muss. Er glaubt, er könnte einen neuen Traktor daraus bauen. Hören Sie keine Glocken?« Ella May wälzte den Kopf auf dem Kissen. Sie öffnete die Augen einen winzigen Spaltbreit, doch angesichts des vor ihr umherwirbelnden Zimmers kniff sie sie wieder zusammen. »Menschen? Glocken?«
    »Hören Sie auf zu träumen.« Blanche zog das Fieberthermometer aus Ellas Mund und hielt es ins Lampenlicht. »Das strengt Sie zu sehr an. Hmmm.«
    »Ich glaube, du lügst«, sagte Ella zu Blanche. »Du bist eine alte Lügnerin. Eine Lügnerin. Eine Lügnerin, die sich verkleidet hat, um mich zu täuschen. Lieber träum ich, als zu leben, ohne träumen zu können.« Und nach einer Weile fügte sie hinzu: »Träumen.«
    »Scht. Dachte ich’s mir doch. Zwei Grad erhöhte Temperatur. Hmmm.« Blanche spielte mit den Fingernägeln an den schmiedeeisernen Reben und Blumen am Kopfteil des Bettes. »Tut Ihnen außer Ihrem Baby sonst noch was weh? Sonst noch irgendwo Schmerzen? Das muss ich wissen.«
    »Nein. Du hast mich angelogen. Scht. Und wenn ich n glühend heißen Schürhaken in der Brust stecken hätt, würd ich dir nichts sagen. Ich hab dir mehr als zehn Dutzend Mal gesagt, nein. Nein. Nein. Nur das Baby.«
    »Verstauchungen? Prellungen? Kopfschmerzen? Haben Sie sich irgendwo wehgetan?« Blanche wischte das Thermometer an einem weißen Tuch ab, dann ließ sie es in das Etui gleiten, das sie in ihre Tasche steckte. »Sie haben schon jetzt mehr Schmerzen, als Sie haben sollten. Wenn Ihnen etwas anderes wehtut, sagen Sie’s mir. Ich muss es wissen.«
    »Nur das Baby. Es zerrt. Es schiebt. Dieses Schieben. Das alles. Nur das Baby. Wenn das erst mal vorbei is, wird’s mir gut gehen«, log Ella, aber ihre Geschichte klang überzeugend.
    Blanche wusste, wenn die Wehen schon jetzt einen solchen Fieberwahn auslösten, würden sich die Dinge erheblich verschlimmern, bevor das Baby das Licht der Lampe erblickte. Sie hatte andere Fälle erlebt, bei denen einer schwangeren Frau schmerzhafte Stellen, Knochen- und Sehnenprellungen, Verstauchungen und Brüche, die sie eigentlich längst vergessen hatte, wieder eingefallen waren und sie so geschmerzt und geängstigt hatten, dass ihre Muskeln sich verkrampften und ihre Nerven sich verspannten. Die Geburt hatte länger gedauert und war doppelt so schmerzhaft und weit gefährlicher geworden. Dergleichen konnte sie nur behandeln, wenn Ella May ihr alle schmerzenden Stellen zeigte, die von alten Verletzungen herrührten. Ein oder zwei ihrer Nerven waren eingeklemmt, in ihrem Hirn tobten fiebrige Sorgen. Dadurch wurden die alten Schmerzen heftiger, und unzusammenhängendes, nur halb bewusstes Sprechen war die Folge. Vielleicht konnte sie der Sache im Lauf der Nacht auf den Grund gehen.
    Tike schleifte seine Schaufel über den Hof und hörte sie auf dem festgefrorenen Boden klirren. Noch lauter klirrte sie, als er sie gegen die Hauswand warf. Er war ein wandelnder Sack voller Ängste und Hoffnungen, und das Klirren klang noch in seinen Worten nach, als er die Tür aufstieß und sagte: »Draußen schneit’s zum Gotterbarmen. Bin ich etwa immer noch nich Papa, nach all meinem Graben und Frieren?«
    Im flackernden Schein der Lampe sah er, wie Blanche den Finger an die Lippen legte, und seine Worte

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