Haus aus Erde
Fingerspitzen. »Genau das ist es.«
»Genau was?«
»Was Sie eben gesagt haben. Weil das Erdhaus so stark ist, dass es noch in zweihundert Jahren stehen wird. Weil es fünfzig Zentimeter dicke Mauern hat. Weil es im Winter warm ist und im Sommer kühl. Weil es leicht zu bauen ist und jeder es bauen kann. Weil es keine Nickel frisst und keine Dollars trinkt und weil es nicht gestrichen werden muss und weil Sie sich nicht Herz und Seele aus dem Leib ackern müssen und nicht jeden Penny in die Stadt tragen und Mister Woodridge auf den Schreibtisch legen müssen. Deswegen. Genau deswegen. Weil Ihr Haus sechs Zimmer haben könnte statt dieses einen Quadratmeters voller Krankheit. Weil Sie das Erdhaus in ein, zwei Jahren abbezahlen könnten und es Ihnen gehören würde. Weil es nicht denen gehören würde. Nach all den Jahren schröpfen sie doch die Leute immer noch: Pacht, Raten für dieses und jenes, für diese verrosteten, verrotteten Holzgerüste, die reinsten Feuerfallen. Wenn Jesus Ihnen helfen würde, sich aus dieser Falle zu befreien, würden sie ihn ins Gefängnis stecken.«
»Bei meiner Seele, ich kann nicht, ich kann einfach nicht glauben, dass irgendein Mensch auf dieser Welt eine solche Gemeinheit begehen könnte. Ich glaube, der alte Woodridge tut, was er tut, weil der liebe Gott ihm sagt, was am besten für ihn ist. Vielleicht hat der liebe Gott ihm gesagt, dass es nur gut und richtig ist, wenn er sein Land zusammenhält und keine Häuser darauf baut. Am Stück kann er es leichter bewirtschaften. Er kann seinen Traktor besser nutzen, Benzin sparen, das Saatgut kostet weniger, und schließlich können die Häuser für die Familien, die auf dem Land arbeiten, genauso gut drüben am Caprock gebaut werden, wo kein Weizen wächst. Unter dieser alten Hütte ist wunderbares Weizenland, und ich glaube, Woodridge hat völlig recht, wenn er sagt, dass er sie abreißen und das Land bestellen will. Dieser kleine Morgen hier wird jedes Jahr viele hungrige Mäuler füttern.« Während sie redete, zog Ella das Baby näher zu sich heran, und bei jedem Wort drückte sie es leicht mit dem Arm. »Eigentlich wollte ich dich bitten, meine zweihundert Dollar morgen oder übermorgen in Woodridges Büro zu bringen und den Morgen Land drüben am Caprock zu kaufen.«
»Sie wissen, dass ich das gern für Sie tue.« Blanche sprach leise und sanft. Das Gespräch genau zu diesem Zeitpunkt war Ellas Nerven nicht eben zuträglich. »Woodridge tut wohl, was er für das Beste hält. Und für zweihundert Dollar den Morgen Land am Caprock zu kaufen, ist nicht verkehrt – nein, das habe ich nicht behauptet. Aber genau da werden Ihre Sorgen anfangen. Es wird ein harter Kampf werden. Ein Kampf mit dem Holzhändler, ein Kampf mit der Kreditfirma, weil Sie feststellen werden, dass Ihnen keine Bank auch nur einen Dollar leiht, damit Sie Ihr Erdhaus bauen können.«
»Ich habe vor dem schwierigen Teil keine Angst.« Die Geräusche des Jungen ließen ihre Augen lächeln. Ellas Gesicht legte sich in tiefe Falten, als sie nachdachte. »Aber Blanche, unser kleiner Grashüpfer muss unbedingt raus aus dieser Kiste. Und in unser anderes Haus. Und wenn es sein muss, kann ich kämpfen.«
»Manchmal frage ich mich«, fuhr sie fort. Blanche wollte, dass sie so wenig wie möglich redete. Ella brauchte Ruhe, keine Worte. Blanche stand auf und machte sich an den Eimern und Töpfen voll Wasser auf dem Herd zu schaffen. »Ich frage mich, ob es je zu einem richtigen Kampf kommt. Manchmal hoffe ich es. Ich wünsche mir, dass die Familien, die ihr Leben lang hochverschuldet in diesen Abfallkübeln von Häusern wohnen, sich zusammenschließen und kämpfen, um aus diesem elenden Gestank und Schlamassel herauszukommen. Ich wünschte, sie würden merken, dass sie ihr sauer verdientes Geld für das Privileg ausgeben, in einem Sarg zu leben.«
»In einem Sarg?«
Ella regte sich im Bett. »Ein guter Sarg kostet mehr als ein Dutzend von diesen Hütten. Eine Grabstelle auf dem Friedhof kostet mehr. Ach, heutzutage ist es so teuer, zu sterben. Deswegen möchte ich ja weiter am Leben bleiben. Und ich möchte ein paar Leuten in der Umgebung zeigen, dass es einen Ausweg aus diesem Schlamassel gibt: ein besseres Haus bauen und nicht etwa seine Sachen packen und auf dem Highway abhauen. Ich werde diese Straße, die nirgendwohin führt, niemals nehmen. An einem klaren Tag kann ich draußen im Hof stehen und die Stelle sehen, wo ich geboren bin, ich kann die Stelle sehen, wo
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