Haus der Angst
hatte sie selbst gebaut – mit Türblättern, die aus dem Baumarkt stammten und die sie auf selbst zusammengeschraubte Metallgestelle gesetzt hatte. Über den Boden, auf dem jetzt breite Holzdielen lagen, waren einst Pferde und Kühe gelaufen. Zusätzlich zur elektrischen Heizung war ein Holzofen aufgestellt worden, und an den Wänden hingen Poster mit Motiven aus dem nördlichen Neu-England, der kanadischen Seenplatte und Costa Rica. Nur wegen ihrer Kontakte zu einem Senator hatte Lucys Geschäft überhaupt so lange existieren können.
Sie hatte einen dieser Plexiglaswürfel für Fotografien auf dem Schreibtisch stehen, in dem Bilder von Madison und J. T. steckten. Aber keins von Colin, wie Barbara bemerkte. Und keins von Jack. Es war, als ob Lucy sie vollkommen aus ihrem Leben gestrichen hatte. Sie war nach Vermont gekommen, um noch einmal von vorne zu beginnen. Ja, das war ihr nun wirklich gelungen.
Jetzt hatte sie Sebastian Redwing um den kleinen Finger gewickelt und zweifellos auch Plato Rabedeneira. Sahen die beiden denn nicht, was sie vorhatte? Aber sie, Barbara, wusste es besser. Die Leute waren ja so dumm. Und Männer waren besonders dämlich. Zwanzig Jahre in Washington hatten sie genug gelehrt, was das anbetraf.
Wenn Jack nur endlich gestehen würde, dass er sie liebte. Dass er, wenn sie einen Schritt auf ihn zu machen würde, den Mut hätte, ihr zu sagen: „Oh Barbara, all die Jahre habe ich auf ein Zeichen von dir gewartet, und sei es auch noch so klein, das mir deine Liebe offenbart. Sogar als Eleanor noch lebte, habe ich schon davon geträumt, dass wir beide eines Tages zusammen sein würden.“ Unzählige Male hatte sie sich diese Szene in ihrer Fantasie vorgestellt.
Das war natürlich sentimentaler Unsinn. Im wirklichen Leben hatte Jack ihr herablassend auf den Rücken geklopft und sie fortgeschickt. Die gute Barbara. Die verlässliche Barbara. Und wenn er auch nur einer von diesen dämlichen Männern war? Zwanzig Jahre ihres Lebens – für nichts und wieder nichts.
Sie strich über den Lauf der .38er Smith & Wesson, die sie vor Jahren ihrem Vater entwendet hatte. Es war dieselbe Waffe, mit der er ihr und ihren Schwestern das Schießen beigebracht hatte. Ihr Vater war ein rauer Mann, und noch immer lief er durchs Haus und wunderte sich grollend, wo sie wohl geblieben sein mochte. „Ich hoffe nur, dass nicht irgendein Idiot meine verdammte Pistole für einen Überfall auf eine Tankstelle benutzt.“
Es war eine alte Pistole, hoffnungslos veraltet in einer Zeit, in der nur noch halbautomatische Waffen benutzt wurden. Aber für ihre Zwecke reichte sie vollkommen aus, und außerdem hatte sie einen Schalldämpfer.
Plato Rabedeneira.
Madison hatte sie vom Apparat in ihrem Zimmer angerufen. „Ich bin gerade beim Packen“, hatte sie ihr erzählt. „Verraten Sie es niemandem, dass ich angerufen habe, ja? Ich wollte nur nicht, dass Sie glauben, wir hätten Sie vergessen. Hier sind ziemlich viele merkwürdige Sachen passiert, und deshalb bringt Plato, der Freund meiner Mutter, J. T. und mich von hier fort.“
„Hast du Angst?“
„Nein, eigentlich nicht. Wir fahren in ein paar Minuten.“
Vorsichtig ging Barbara zum Vordereingang der Scheune. Plato stand neben seinem Wagen. Er sah wirklich gut aus, aber wegen seines Humpelns konnte er sich nur sehr langsam fortbewegen. Außerdem fühlte er sich in den Bergen von Vermont nicht heimisch. Sie erinnerte sich, wie er zu Boden gegangen war, als er bei dem Attentatsversuch auf Jack und den Präsidenten eine Kugel abbekommen hatte. Ohne ein Geräusch zu machen, war er zu Boden gegangen.
Sie steckte die Pistole in ihren Hosenbund und zog das T-Shirt darüber. Einen genauen Plan hatte sie nicht. Sie hatte gesehen, wie Sebastian und Lucy über das Feld gelaufen waren. Ob sie von allen verdächtigt wurde? Hatte Lucy alle gegen sie eingenommen?
Barbara widerstand dem Drang zu laufen. Langsam löste sie sich aus dem Schatten der Scheune und ging quer durch den Garten zur Veranda vor dem Haus. Sie würde sagen, dass sie gekommen sei, um Lucy für die Blaubeer-Muffins zu danken. Vielleicht würde sie sie zum Abendessen einladen. Spaghetti. Alle Kinder liebten Spaghetti.
Sie durften nicht wegfahren.
Das würde sie nicht zulassen.
Madison polterte die Vordertreppe hinunter. Die Hängepetunien mussten gewässert werden. Lucy vernachlässigte sie ebenso wie ihre Kinder.
Das Mädchen jammerte Plato gerade etwas vor. „Sie müssen J. T. erlauben, seine
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