Haus der Angst
letzten drei Jahren so eng zusammen waren.“
„Hm“, machte Sidney verständnisvoll.
Es gelang ihm zu lächeln. „Was meinst du mit ‚Hm‘?“
„Du bist über Lucy verärgert, weil sie weggezogen ist. Jack, sie ist nicht zuständig für dein Glück. Sie musste ihr Leben auch ohne Colin weiterleben, genau wie du. Aber für dich ist es etwas anderes. Colin war dein Sohn, nicht dein Ehemann.“
„Ich habe sie alle verloren, Sidney. Eleanor, Colin, meine Enkelkinder.“
„Deine Enkelkinder sind in Vermont. Das ist nicht am Ende der Welt.“ Sidney schüttelte den Kopf – freundlich, nachsichtig. Obwohl sie seine Meinung nicht teilte, respektierte sie seine Ansicht. „Oh, Jack, dass sie fortgezogen sind, heißt doch nicht, dass sie nichts mit dir zu tun haben wollen – ebenso wenig wie der Umzug von Lucys Eltern nach Costa Rica bedeutet, dass sie nichts mehr von Lucy wissen wollen.“
„Mein Verstand sagt mir das ja auch, aber mein Gefühl …“ Er seufzte. „Sidney, mein Gefühl sagt mir, dass sie nichts von mir wissen wollen.“
„Das ist ja schrecklich.“
Er riss sich zusammen und lächelte. „Ich danke Gott dafür, dass es dich gibt. Du weißt, dass Lucy dich mag.“
„Als eine Freundin und ehemalige Kollegin von dir. Aber als deine Geliebte?“ Sie wurde wieder ernst. „Ich rede jetzt nicht nur davon, wie Lucy darauf reagieren wird, wenn ich mit nach Vermont komme. Ich rede auch von dir, Senator Jack Swift.“
Er runzelte die Stirn. „Das verstehe ich nicht.“
„Natürlich nicht. Schließlich hast du vierzig Jahre lang keine ‚Freundin‘ gehabt.“
„Oje.“
Sidney beugte sich auf ihrem Stuhl nach vorn und fuhr ihm mit den Fingerspitzen übers Kinn. „Überleg es dir gut, Jack, ehe du mich nach Vermont zu deiner Familie einlädst. Ich mag unsere Beziehung, so wie sie ist. Ich möchte nicht, dass sich daran etwas ändert.“
„Warum sollte sich etwas daran ändern?“
„Denk einfach mal darüber nach, einverstanden?“
„Einverstanden.“
Sie lachte. „Du bist wirklich schwer von Begriff. Aber mach dir nichts daraus.“ Sie griff nach ihrem Martini und nahm einen großen Schluck. „Egal ob nach Vermont oder ans Meer, ich werde der Stadt auf jeden Fall für ein paar Tage den Rücken kehren. Ich liebe Washington, doch der Sommer kann hier wirklich eine Zumutung sein.“
Dank dem Martini, dem ruhigen, angenehmen Abend und Sidneys freundlicher und anregender Gesellschaft fühlte Jack sich ein wenig besser. Er verstand, was sie meinte, wenn sie von Washington sprach. Trotz aller Probleme, Gefahren und Enttäuschungen lebte und arbeitete er gerne hier. Obwohl Rhode Island seine Heimat war, so war Washington doch sein Zuhause.
Er konnte sich einfach nicht vorstellen, warum Lucy ausgerechnet in Vermont lebte, egal, wie schön es dort war. Fühlte sie sich dort gut aufgehoben? Oder versteckte sie sich nur vor der Wirklichkeit? Dafür hätte er sogar Verständnis gehabt. In der jetzigen Situation würde er auch alles Mögliche tun, um sich vor der Wirklichkeit verstecken zu können, und er tat sein Bestes, um mit ihr klar zu kommen. Colins Verlust war für sie alle ein schrecklicher Schlag gewesen. Aber ein Wirbel um die Erpressung eines Senators und eine schmutzige Affäre würde die Entfremdung zwischen Lucy und dem Vater ihres verstorbenen Ehemanns möglicherweise noch vergrößern.
Sidney hatte Recht. Lucy, Madison und J. T. waren alles, was ihm an Familie geblieben war. Er durfte nichts überstürzen.
„Jack. Ach, Jack.“ Sidney lächelte und tat so, als wollte sie an seine Stirn klopfen. „Du bist heute Abend mit deinen Gedanken ganz woanders, stimmt’s?“
„Nur müde“, antwortete er. „Barbara hat angerufen, um mir mitzuteilen, dass sie ein Haus in der Nähe eines berüchtigten Wasserfalls gemietet hat. Es liegt auf den Hügeln oberhalb von Lucys Farmhaus, und man kann es zu Fuß erreichen.“
„So, so. Und wie geht es Barbara?“
Er zuckte mit den Schultern. „Sie ist wieder ganz die Alte.“
Sidney schaute ihn zweifelnd an. „Ich würde mich nicht darauf verlassen.“
„Sie arbeitet in meinem Büro, seit sie dort als Studentin ein Praktikum gemacht hat. Das wird sie doch nicht alles aufs Spiel setzen. Sie hat für ein paar Sekunden die Kontrolle über sich verloren, das war’s auch schon. So etwas passiert manchmal eben. Bei dem Stress, den wir haben, ist das doch kein Wunder.“
„Jack, Jack“, sagte Sidney ungläubig und schüttelte den Kopf.
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