Haus der Angst
auch einen stämmigen Typen wie mich ihn hinuntertragen lassen können – auf dem Rücken.“
„Du hättest bestimmt einen Krankenwagen gerufen.“
„Stand es so schlimm um ihn?“
Sie nickte.
„Glaubst du, dass es seine eigene Schuld war?“
„Ich weiß nicht. Es war sein erster Besuch bei den Wasserfällen seit dem Tod seines Großvaters. Vermutlich war er in Gedanken und hat nicht auf seine Umgebung geachtet.“
„Da oben gibt es normalerweise keine Erdrutsche. Vielleicht nach starken Regenfällen, aber nicht um diese Jahreszeit, wo es so trocken ist.“ Er erhob sich. „Ich glaube, ich schau mal nach den Jungs.“
Sebastian beschloss, dass Abendessen vorzubereiten. Er forderte Madison und J. T. auf, in den Garten zu gehen und alles zu pflücken, was reif war. Was er nicht kochen oder für Salat verwenden konnte, wurde klein geschnitten und gegrillt. Im Kühlschrank fand er Hühnchen; es landete ebenfalls auf dem Grill. Er hatte eine Weile gebraucht, bis die Holzkohle glühte. Normalerweise benutzte er keinen Gartengrill.
Der Geruch des Feuers, die Hitze, die ihm ins Gesicht strahlte, der gemächlich dahinfließende und friedliche Tag an diesem Ort, den er liebte und doch zu vergessen versuchte – das alles ließ ihn ruhiger und zufriedener werden. Hier konnte er sich ganz seinen Gedanken hingeben und nach einer Lösung suchen: Darren Mowery. Jack Swift. Erpressung. Lucy und die unheimlichen Vorkommnisse in ihrer Umgebung. Irgendwo war da ein Zusammenhang. Er musste ihn nur noch herausfinden.
Aber er musste sich wirklich auf seine Arbeit konzentrieren. Er durfte sich nicht von dem Gefühl ablenken lassen, wieder zu Hause zu sein, und auch nicht darüber nachgrübeln, dass er mit Lucy zusammen war. Er hatte zwar keine Ahnung, wie es um sie bestellt war, aber was ihn betraf – er hatte seit mehr als fünfzehn Jahren dauernd an sie denken müssen. Und damit musste er leben, ob es ihm passte oder nicht. Im vergangenen Jahr hatte er sich ebenfalls von seinen Gefühlen leiten lassen, als er mit Darren Mowery zu tun hatte. Er hatte die Veränderungen in seinem Charakter nicht erkannt, seinen zerstörerischen Zynismus, seine Menschenverachtung. Vielleicht war er ja immer schon so gewesen, und er hatte das alles hinter seiner Professionalität verstecken können – bis zum vergangenen Jahr. Da waren all seine negativen Eigenschaften plötzlich offensichtlich geworden.
Sebastian wendete ein Stück Hühnchenbrust. Vielleicht lag es am Wiedersehen mit Lucy, dass er sich geändert hatte und nun fähig war, Dinge zu tun, die er nicht für möglich gehalten hatte. Zum Beispiel unentwegt an sie zu denken, während er Hühnerfleisch und Gemüse grillte.
Darüber durfte er allerdings Jack Swift nicht vergessen. Wie konnte er ihm helfen? Swifts Machtposition war ein Problem, das er nicht unterschätzen durfte. Nach allem, was er bislang erfahren hatte, sprachen amerikanische Senatoren nicht gerne über die Gründe, derentwegen sie erpresst wurden.
Die Fliegengittertür wurde aufgestoßen. Kurz darauf fiel sie mit einem leisen Geräusch wieder zu, und Lucy stand neben ihm mit zwei Flaschen Bier in der Hand. Sie ließ sich in einen alten Holzstuhl fallen und reichte ihm eine Flasche, während sie die Beine von sich streckte und die Füße übereinander legte. Sie hatte schöne Beine – gebräunt, schlank, gut geformt.
„Das riecht aber gut“, meinte sie lächelnd.
„Das liegt nur an der Holzkohle und der Grillsoße. Ich könnte faules Gemüse grillen, und es würde immer noch gut riechen.“
„Ich glaube nicht, dass mir faules Gemüse schmecken würde. Ich habe mich bis jetzt ja noch nicht mal getraut, Löwenzahnsalat zu probieren. Die Leute im Dorf sagen, dass das eines von Daisys Lieblingsgerichten war.“
Sebastian erinnerte sich, wie seine Großmutter ihn auf die zarten Blätter hingewiesen und ermahnt hatte, sie beim Pflücken nur ja nicht zu zerreißen. „Das stimmt“, bestätigte er.
„Hast du ihn auch gegessen?“
„Mit Salz, Pfeffer, Essig und Öl.“
„Irre.“
Er lachte. „Daisy hat mit einer ihrer Freundinnen auch schon mal Löwenzahnwein gemacht. Aber der war ekelhaft.“
Lucy lächelte erneut, als sie ihm zusah, wie er einen Schluck Bier aus seiner Flasche nahm. So, wie er es tat, fand sie es ungeheuer sexy. Ihre Augen schienen dunkler und lebendiger zu werden, je tiefer das Blau des Abendhimmels wurde. „Hast du eigentlich jemals daran gedacht, hier zu bleiben?“ fragte
Weitere Kostenlose Bücher