Haus der bösen Lust (German Edition)
grausiger Gedanke jagt dir einen Schauder über den Rücken – der Gedanke, dass sich diese gelben Augen jäh öffnen werden und der Mann zu lachen anfängt ...
Die sinkende Sonne taucht den Hof in düsteres Licht, das wie geschmolzen wirkt. Du hörst ein Schnuppergeräusch und bemerkst mehrere streunende Hunde, die in einigen Büschen umherschnüffeln. Flüchtig streicht ein Schatten über dein Gesicht. Noch immer zurückweichend schaust du auf und siehst einen einsamen Raben, der lautlos über dir hinwegschwebt.
»Oh!«, stößt du hervor und drehst dich gerade noch rechtzeitig um, dass du nicht fällst. Du bist immer weiter vor der Leiche zurückgewichen und siehst nun, dass du um ein Haar in ein Loch gestürzt wärst.
Im Hof ist ein tiefer Graben ausgehoben worden, knapp zwei Meter lang und ungefähr genauso tief. Ein Grab? , fragst du dich. Jedenfalls weißt du, dass dieses Loch erst unlängst gebuddelt wurde, weil die aufgewühlte Erde noch frisch ist und mehrere Schaufeln herumliegen. Dir fällt die frische Erde an Mr. Morris’ Händen und seine Erwähnung ein, dass er etwas gegraben hat. Konnte er derjenige gewesen sein, der das Loch ausgehoben hat?
»Herr Jesus Christus im Himmel!«, ertönt eine Stimme so unvermittelt wie ein Pistolenschuss. »Mr. Gast hat sich aufgehängt!«
»Oh Scheiße!«, dröhnt eine andere.
»Sieht so aus, als baumelt er da schon ein paar Tage ...«
Mehrere Bewohner der Ortschaft rennen auf das Haus zu, und du erkennst, dass einer davon der Marschall ist. Er starrt dich finster an und zeigt mit dem Finger auf dich. »Du da! Hast du gesehen, was hier passiert ist?«
»N-Nein, Sir ...«
»Was ist das für ein Loch?«
»Ich weiß es nich’, Marschall Braden ...«
Etwas wie ein Erkennen leuchtet in seinen Augen auf. »Du bist eine von Bellas Huren, oder?«
»Ja, Sir«, antwortest du sofort. »Und ich bin hier, weil mir ein Mann da drin Geld schuldet.«
»Vergiss dein Geld und komm mit, um uns zu helfen!«, befiehlt er, und du tust, was er dir sagt.
Du folgst ihm und einem anderen Mann in das Haus. »Seine Frau und seine Kinder hat seit Tagen niemand mehr gesehen. Mädchen, du siehst oben nach, und wir ...« Aber der andere Mann stöhnt bereits.
»Marschall, hier drin. Das werden Sie nicht glauben ...«
Im Arbeitszimmer sitzen zwei Männer auf messingbeschlagenen Lehnsesseln. Beide grinsen, rühren sich aber nicht.
»Das is’ Mr. Morris«, stößt du hervor.
In seiner Hand ist das lange Messer, das dir in Bellas Freudenhaus aufgefallen ist, und es ist unübersehbar, wofür er es benutzt hat: um sich selbst die Kehle von einem Ohr zum anderen aufzuschlitzen. Eine Welle von Blut ist ihm über die Brust geströmt und hat sich auf dem Boden in einer Lache gesammelt.
Der andere Mann ist älter und hat einen langen Schnurrbart. Seitlich fehlt ihm der halbe Kopf. Von seinen Fingern baumelt eine Pistole.
»Was in Gottes Namen ist hier passiert?«, murmelt der Marschall.
»Sieht aus, als hätten sich beide selbst umgebracht, wie Mr. Gast ...«
»Wir müssen Mrs. Gast und ihre zwei Kinder finden. Und wo ist dieses verfluchte Hausmädchen?« Wieder zeigt der Marschall auf dich. »Nach oben! Gib Laut, wenn du was findest«, fordert er dich auf, dann stapfen beide Männer durch das Zimmer in den hinteren Teil des Hauses.
Du aber bleibst und starrst weiter Mr. Morris an. Ein Teil von dir will seine Taschen durchwühlen, um dein Geld zurückzuholen, doch du weißt, das kannst du nicht tun. Du weißt, wenn du es tätest, würde er die Hand heben und dich packen.
So eilst du stattdessen zurück in die Eingangshalle und steigst die Treppe hinauf. Das Erste, was dir auffällt, sind Dreckspuren, die hinaufführen. Auf dem Absatz zögerst du, und dein Herz rast, denn etwas an der Stille ängstigt dich mehr als der Anblick der Indianer, als sie deine Mutter getötet haben.
Die Spuren verlaufen zu einer Tür in der Mitte des Treppenflurs. Du versuchst, den Knauf zu drehen, aber es ist abgeschlossen.
Vielleicht die hier . Die andere Tür gibt ein Klicken von sich, als du den Knauf drehst.
Du schreist nicht. Stattdessen fährt dir ein Druck in die Brust, und dein Herz setzt einen Schlag aus, doch du beherrschst dich und bleibst gefasst. Ein weiterer von Mr. Gasts Bahnarbeitern liegt tot da. Seinen Namen kennst du zwar nicht, aber du hast ihn schon in Bellas Freudenhaus gesehen. Du hast ein Badezimmer betreten, ein aufwendiges, in dem es sogar eine Holzkommode gibt.
Auf einem
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