Haus der bösen Lust (German Edition)
Täuschung sein.
Er schaute noch einmal. Die rasierte Vulva war noch da. Nun fiel ihm ein zusätzliches Detail auf: ein Muttermal etwa zwei Zentimeter über der Klitorisvorhaut.
Na schön ... Doch keine optische Täuschung; die Frau stand wirklich vor der Tür. Er nahm sich einen Augenblick Zeit zum Überlegen, wägte seine Möglichkeiten ab, obwohl es eigentlich nur zwei gab. Ich kann das ignorieren, dachte er . Oder ... ich kann die Tür öffnen und nachsehen, wer es ist .
Nur ...
Wer konnte es sein?
Es schien fast so, als wüsste die Frau, dass Collier sie ansehen würde.
Unmöglich .
Er richtete sich auf und öffnete die Tür.
Niemand stand dort. Er sah nur den offenen Vorraum hinter dem Geländer des Flurs. Collier blickte rasch nach links und rechts, doch er entdeckte keine davoneilende Frau, weder nackt noch bekleidet.
Das ist verrückt, schoss ihm durch den Kopf. Das ist ECHT verrückt.
Collier setzte sich auf das Bett und ließ den bisherigen Tag objektiv Revue passieren. Er war nach Tennessee gekommen, um nach einem unbekannten Bier zu suchen, das es wert sein könnte, in sein Buch aufgenommen zu werden. Die biedere Limousine, die er bei der Leihwagenfirma gebucht hatte, war nicht verfügbar gewesen, weshalb er stattdessen einen grotesken limonengrünen VW bekommen hatte. Was eine einstündige Fahrt hätte sein sollen, hatte sich auf vier Stunden ausgeweitet. Anschließend war er bei dieser sonderbaren kleinen Pension eingetroffen, wo eine alte Frau und ihre vermutlich zurückgebliebene Tochter seine sonst so gut wie abgestorbene Libido zu flammendem Leben erweckt hatten. In Summe ergab sich daraus der bizarrste Tag seines Lebens. Und gerade als er gedacht hatte, bizarrer könnte es nicht werden ...
Eine Frau hat ihre rasierte Muschi vor meinem Schlüsselloch zur Schau gestellt ...
Collier rieb sich die Schläfen.
Entweder habe ich es wirklich gesehen, oder ich hatte eine Halluzination.
Das konnte nicht sein.
Ich weiß, dass ich nicht verrückt bin ... und ich habe nie Drogen genommen, also kann es auch kein Flashback gewesen sein.
Wenn es keine Halluzination gewesen war, wer mochte diese diskrete Exhibitionistin mit der geheimnisvollen Scham gewesen sein?
Zuerst hatten ihn die nackten Füße an Lottie denken lassen, doch nun, da er darüber nachdachte, schienen die Hüften zu ausladend und die Rundungen zu üppig für Lottie zu sein. Mrs. Butler? Nein, dachte er. Das konnte nicht sein ...
Die Frau aus Wisconsin? Das wäre eine Möglichkeit. Collier ging das Phänomen der Groupies durch den Kopf – Frauen, die alle Hemmungen verloren, nur weil ein Mann ein Musiker, ein Profisportler oder ... jemand aus dem Fernsehen war. Collier hatte von derlei Dingen gehört, vor allem in Zusammenhang mit den Paradiesvögeln des Senders. Wie diesem Arschloch Savannah Sammy. Frauen schickten ihm per Post ihre Höschen, um Himmels willen. Aber was Collier selbst anging ...
Er war nie einem »TV-Groupie« begegnet und bezweifelte, dass es welche für den »Bierfürsten« gab.
Derart verwirrt, dass er spürte, wie allmählich eine Migräne einsetzte, schüttelte er den Kopf.
Ob es eine Halluzination war oder nicht, irgendetwas ist über mich gekommen. Ich kann mich nicht erinnern, je zuvor so spitz gewesen zu sein. Was ist der Grund dafür?
Aber warum sollte er so negativ denken? Dass sein Geschlechtstrieb hyperaktiv zurückgekehrt war, bedeutete schließlich nicht zwingend, dass etwas mit ihm nicht stimmte, oder? Ein gesundes sexuelles Verlangen war ... gesund. Etwas tauchte in ihm wieder auf: eine heftige Reaktion auf sexuelle Anziehungskraft infolge des genetisch bedingten Drangs, sich zu vermehren ...
Das muss es sein.
Nachdem Collier zu diesem Schluss gekommen war, fühlte er sich deutlich besser. Doch in Wirklichkeit war es keines dieser Dinge, die ihn geiler als einen brünstigen Affen machten.
Es war das Haus.
Kapitel 3
I
1857
Wenn N. P. Poltrock die Augen schloss, sah er verfaulte Schädel und Blut, das aus Kelchen getrunken wurde. Er sah von Äxten und Hacken abgetrennte Gliedmaßen und Männer und Frauen, die nackt und bei lebendigem Leib in rot glühende Kohlenglut geworfen wurden. Er sah Kinder, die von gesichtslosen Soldaten in steifen grauen Uniformen auf dem Boden vergewaltigt wurden; auf andere wurde lediglich masturbiert, bevor man sie erwürgte. Pferde, die alte Männer und Frauen an Schlingen um den Hals hinter sich herschleiften, kamen regelmäßig in das heiße, verrauchte
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