Haus der bösen Lust (German Edition)
Million in Gold, und jeder hat gedacht, er hätt’ alles für seine Eisenbahn ausgegeben. Die wurde 1862 fertig, etwa ’n Jahr nach Kriegsbeginn. Dann kam er nach Haus ... und wissen Sie, was er gemacht hat?«
»Was?«
»Sich umgebracht. Kurz, nachdem der letzte Nagel am End’ von der Bahnstrecke Ost-Tennessee – Georgia in den Boden gehämmert worden is’, weit hinter der Grenze an einem Ort, der früher Maxon hieß.«
»Warum hat er sich umgebracht?«
»Ach, wer weiß?« Der jüngere Mann schien der Frage auszuweichen. »Die Leute haben gedacht, er wär’ durch ’n Bau der Strecke bankrottgegangen, aber wissen Sie was? Wie sich rausgestellt hat, hatte er immer noch ’ne Million in Gold auf seinen Konten. Als hätt’ er nie auch nur ’n Cent ausgegeben.«
»Merkwürdig«, meinte Collier, der sich bemühte, die Informationen zu ordnen. »Also war es kein Bankrott, der ihn zum Selbstmord getrieben hat. Ich frage mich, was denn dann?«
Jiff äußerte sich nach wie vor nicht dazu. »Nach dem Ende der Kämpfe haben Lincolns Jungs sein gesamtes Gold beschlagnahmt, aber ’s Haus wurde verkauft. Worauf ich eigentlich raus will, is’, dass sich die neuen Besitzer – drunter Verwandte meiner Ma – für die Zubauten nur billigeres Baumaterial leisten konnten.«
Das ergab Sinn. Collier wusste, dass es dem Süden in etwa so wie Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg ergangen war; man hatte die Menschen eine Zeit lang Armut leiden lassen, als Strafe für die versuchte Abspaltung. Allerdings wich Jiff nach wie vor dem Punkt aus, der ihn mehr interessierte. Das ist ... eigenartig.
»Wir wohnen in dem Trakt da. Zwei der anderen haben weitere Gästezimmer, und der vierte – also, den vierten müssen Sie unbedingt sehen, wenn Sie sich für all das Zeug interessieren, Mr. Collier. Der is’ rappelvoll mit noch mehr Kram aus den alten Tagen.«
»Das würde ich liebend gern sehen.«
»Und vergessen Sie nicht ’s Badezimmer – das is’ die Tür gleich rechts neben Ihrem Zimmer. Das war ’ne Möglichkeit für reiche Leut’, um zu zeigen, wie vermögend sie waren – ’n Badezimmer mit Toilette im ersten Stock gleich in der Nähe vom Schlafzimmer. Einfache Leut’ hatten nur Plumpsklos und ’ne Waschhütte im Freien.«
Ich schätze, ich betrachte sogar das als selbstverständlich , dachte Collier. Eine Schüssel zum Reinpinkeln .
Sie passierten den zweiten Trakt. Durch ein Fenster konnte Collier die neuesten Gäste erkennen, die gerade einzogen. Lottie trug ihr Gepäck. Dann folgten sie einem Weg durch den Garten. Eine leichte Brise wiegte unzählige bunte Blüten hin und her.
Als sie die kleine Lichtung erreichten, stellte Collier fest, dass der alte Schmelzofen größer war, als er von seinem Zimmer aus wirkte. Flache, mit Mörtel gesicherte Steine bildeten das mächtige, konische Gebilde, das mehrere Öffnungen in verschiedenen Höhen aufwies.
»Das ist unglaublich«, sagte Collier.
»Ja, Sir, isses.« Jiff zeigte auf etwas. »Das da is’ die Holzkohlerutsche, und dort haben wir die Erzschütte. Das kleine Ding is’ der Abfluss, und natürlich gibt’s noch den Luftkanal«, sagte er und deutete auf die Leitung, die von einem Blasebalg der Größe eines Kühlschranks ausging. »Der Schmied hat an der Kette da gezogen, um den Balg zu betätigen« – er führte es vor, und sie hörten das Zischen von Luft – »und die Luft is’ in die Glut geschossen. Da drin hat’s bis zu 1.200 Grad Celsius gehabt. Damit wurde Eisenerz – oder so ziemlich alles andere – zu ’ner rot glühenden Pfütze.«
Collier bemerkte weitere Zubehörteile: ein Kühlfass, ein Werkzeuggestell, ein Schleifrad. In den Amboss, den er zuvor gesehen hatte, war ein Datum graviert: 1856. Collier fühlte sich wie benommen von einem nostalgischen Anflug. Dies waren keine Requisiten, sondern echte Relikte einer längst vergangenen Lebensweise. Menschen aus Fleisch und Blut haben dieses Ding gebaut , dachte er. Irgendjemand hat 1856 diesen Amboss mit seinen eigenen Händen angefertigt.
»Hat ihn schon mal jemand verwendet? In letzter Zeit, meine ich.«
Jiff kratzte mit einem Taschenmesser an einer Mörtelfuge. Das Material war immer noch hart. »Zum Eisenschmieden? Ne. Aber es gibt kein’ Grund, warum er nicht funktionieren sollt’. Man schmilzt ’s Erz durch ’ne Holzkohlewand, während man den Blasebalg betätigt. Wir nehmen den Ofen nur noch zum Kochen an Feiertagswochenenden her. Manchmal hängen wir ’n paar
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