Haus der bösen Lust (German Edition)
alte Frau zurück. »Diese Zimmer sind alle besetzt. Aber ich habe ein reizendes Zimmer mit Blick auf den Garten im Westflügel für Sie. Und ein wenig vom Berg kann man dort trotzdem erkennen.«
Das kam Collier sehr sonderbar vor. Das Zimmer neben seinem bot eine Aussicht auf den Berg. Er erinnerte sich, dass Jiff erwähnt hatte, dieses Zimmer würde nicht vermietet. Ich frage mich, weshalb ...
In einer weiteren Vitrine befanden sich noch mehr Relikte. Eines davon stach ihm auf Anhieb ins Auge. Handgemeisselte Steinform für Wollschere . Neben dem flachen Steinstück mit einer Aussparung in Form der Hälfte einer großen Schere lag eine fertige Schere. Diese Schere wurde in der Gast Eisenschmiede angefertigt, die sich auf dem Hinterhof befindet – 1859 .
Das war noch richtige Arbeit, dachte er. Collier konnte sich nicht vorstellen, wie schwierig das Leben damals gewesen sein musste. Sogar für das Herstellen von etwas so Schlichtem wie einer Schere waren etliche Schritte notwendig. Erz schmelzen, Schlacke abschöpfen, das geschmolzene Eisen in eine Form gießen, ohne sich teuflisch zu verbrennen oder durch die giftigen Dämpfe einen Hirnschaden davonzutragen. Der Schaukasten enthielt weitere handgemachte Gegenstände aus der Familienschmiede: Nägel, Angeln, Türriegel. Muss verflucht schwierig gewesen sein, dieses Zeug anzufertigen.
Dann hörte er die Frau aus Philadelphia flüstern: »Oh mein Gott, ist das da drüben der Bierfürst?«
Scheiße! Collier war schon wieder erkannt worden. Er tat so, als hätte er es nicht gehört und huschte durch die Vorzimmertür hinaus.
Die Sonne wurde bereits orange und versank gleißend am Horizont. Collier ließ den Blick über den gepflegten Vorhof wandern. Er roch Minze, Moos und Wildblumen. Die stille Schönheit der Umgebung berauschte ihn regelrecht.
Kurz darauf sprang Jiff die Verandastufen herunter. Er trug dieselben Jeans und Arbeitsstiefel, hatte dazu jedoch ein schwarzes durchgeknöpftes Hemd angezogen. Herausgeputzt, dachte Collier. Nach Hinterwäldlerart.
»Bereit, wenn Sie’s sin’, Mr. Collier!«
»Alles klar, Jiff. Aber würde es Ihnen etwas ausmachen, mir zuerst noch den kleinen Schmelzofen hinten zu zeigen?«
»Mit Vergnügen, Sir. Wir haben hier jede Menge interessanter Dinge.«
»Ja, das stimmt.« Collier folgte ihm seitlich um das Hauptgebäude, wo ein Pfad die zusätzlichen Flügel umrundete. »Ich lebe wohl schon zu lange in Los Angeles. An einen Ort wie diesen zu kommen, öffnet einem wirklich die Augen. Heutzutage betrachten wir so vieles als selbstverständlich. Zum Beispiel die Gegenstände in den Vitrinen im Empfangsbereich – handgefertigte Stiefel, Werkzeuge und Nägel, die jemand auf einem Amboss gehämmert hat, Läufer und Kleidung, die von Hand genäht statt maschinell fabriziert wurden. Das erinnert mich daran, dass dieses Land mit harter Arbeit aufgebaut wurde.«
»Mit sehr harter Arbeit, Sir«, pflichtete Jiff ihm bei. »Hat man damals ein Haus bauen wollen, musst’ man Lehm ausgraben und die Ziegel backen, die Schindeln aus selbst gefällten Bäumen schneiden, ’s Glas für die Fenster blasen und so weiter. Und während man all diese schweren Arbeiten gemacht hat, musst’ man ja auch essen. Also hat man’s Land bestellt, um den Eigenbedarf anzubauen, musst’ ’ne Quelle oder ’n Fluss finden, um die Saat zu bewässern, und wollt’ man Fleisch dazu, musst’ man ’s Schwein selber züchten, schlachten und noch mehr Holz hacken, um’s zu kochen. Und wenn man schon beim Holzhacken war, hat man sich besser ’n Baum mit der richtigen Rinde zum Gerben der Haut ausgesucht, damit man sich Stiefel machen konnte. Aber wenn man das tun wollt’, musst’ man auch Kassiterit zum Schmelzen finden, um ’n Eimer fürs Gerben herstellen zu können. So war’s Leben damals. Heut gehen wir nur noch ins Lebensmittelgeschäft und in ’nen Baumarkt.«
Collier kicherte über den Vergleich. Der Spaziergang bescherte ihm einen besseren Eindruck von den zusätzlichen vier Trakten des Hauses. »Warum ist der Stil dieser Gebäudeflügel so anders als der des Haupthauses? Das sieht irgendwie ...«
»Sieht irgendwie nich’ richtig aus.« Jiff verstand, worauf er hinauswollte. »Diese Trakte waren ganz aus Holz, aber’s Haupthaus hat man aufwendig aus Ziegeln gebaut. Das liegt da dran, dass der Süden nach ’m Krieg lange bettelarm war.«
»Dem Angriffskrieg des Nordens ...«
»Ja, Sir. Als Harwood Gast in die Stadt zog, hatte er ’ne
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