Haus der bösen Lust (German Edition)
zu verabschieden, und stolperte schließlich hinaus ins Tageslicht.
Heilige Scheiße, ich bin sturzbesoffen ...
Als er die Number 3 Street hinabschaute, erblickte er eine Touristentraube, die sich auf ihn zubewegte. Meinen Zustand kann ich unmöglich überspielen , dachte er. Und bei meinem Glück wollen die alle Autogramme. Im Moment bin ich dermaßen blau, dass ich nicht sicher bin, ob ich überhaupt meinen Namen schreiben kann ... Er vollführte auf dem Gehweg einen Schwenk um fünfundvierzig Grad – Da geht’s lang! – und lief direkt in den Wald.
Ich gehe durch den Wald um den Hügel rum. So sieht mich niemand, und das ist gut, weil ich mir ziemlich sicher bin, dass ich ein paarmal auf die Schnauze fallen werde.
Zwischen den Bäumen stieß er praktischerweise auf einen Trampelpfad und ...
Plautz!!
... landete auf dem Gesicht.
Ich als die Witzfigur des Dorfes, dachte er. Abgehalfterter, dem Alkohol verfallener ehemaliger Fernsehstar und ausgebranntes, nutzloses Opfer der Tretmühle von Los Angeles. Besäuft sich am helllichten Nachmittag ... Collier hoffte, dass es kein Leben nach dem Tod gab. Er wollte sich nicht vorstellen müssen, dass ihn seine lieben verstorbenen Eltern so sehen und sich kläglich fragen könnten: »Was haben wir bloß falsch gemacht?«
Mühsam rappelte er sich auf und taumelte etwa hundert Meter weit von einem Baum zum nächsten. Er konnte nur erahnen, wo sich die Pension befand. Irgendwo da drüben, dachte er und spähte betrunken nach links. Mit zusammengekniffenen Augen blickte er auf die doppelten Zifferblätter seiner Uhr und stellte fest, dass ihm noch rund vier Stunden bis zu seiner Verabredung blieben ...
Ich schaff’s nicht. Muss mich ein Weilchen hinsetzen . Sein Hintern plumpste auf den Boden, und er vermeinte zu hören, wie die Hose riss. Aber er vernahm noch etwas, ein stetes, ununterbrochenes Geräusch ...
Fließendes Wasser?
Er hob den Kopf und glaubte, einen durch den Wald gurgelnden Bach zu erkennen. Da sollte ich den Kopf reinstecken, überlegte er, aber nun, da er bereits saß, wollte er nicht mehr aufstehen.
Immer wieder nickte er kurz ein. Das gleichmäßige Geräusch des Baches erinnerte ihn an diese Einschlafhilfen, die angeblich beruhigende Laute erzeugten, letztlich jedoch nur bewirkten, dass man erst recht wach blieb. Abermals döste er ein, diesmal tiefer. Er fühlte sich, als würde er in Sand versinken.
Traumfragmente suchten ihn heim: die klingenden Geräusche von Eisenbahnarbeitern und Männer, die wie Galeerensklaven sangen. Er träumte von Penelope Gast, die sich in einem protzigen Salon Luft zufächelte, während sie von Hausmädchen bedient wurde, und er träumte von Uringestank.
Ein prächtiger Horizont, auf den eine Dampflokomotive zufährt, aufsteigender Rauch, das Schrillen einer Pfeife, deren Laut in der Ferne entschwindet ...
»Ich will’s auch machen«, sagte die quengelnde Stimme eines jungen Mädchens.
»Sei nicht albern!«, gab ein anderes Mädchen zurück, das sich älter anhörte.
Der Bach plätscherte weiter vor sich hin, aber darunter hatte sich ein leiseres Geräusch gemischt.
... kratz-kratz-kratz ...
»Dann lass es mich bei dir machen.«
»Du bist zu klein, Dummkopf! Du würdest mich schneiden.«
»Nein, würde ich nicht!«
Ein leichtes Erschrecken ließ Collier mühsam die Augen öffnen. Die Stimmen entsprangen keinem Traum. Er reckte den Hals und starrte auf zwei Mädchen, die irgendetwas in der Nähe des Baches taten. Eine schmutzig-blonde etwa Dreizehn- oder Vierzehnjährige und eine ungefähr Zehnjährige mit zerzauster, helmartiger Frisur wie aus den 1920er-Jahren, die Haare braun wie dunkle Schokolade. Beide waren barfuß und trugen weiße, kittelähnliche Kleider.
Scheiße! Zwei Kinder, und sie haben mich noch nicht bemerkt, dachte Collier. Wahrscheinlich würde er ihnen Angst einjagen, wenn er sich zu erkennen gäbe. Die Jüngere stieg ins Wasser und blickte auf die andere hinab, die mit dem Rücken zu Collier auf dem Boden saß und sich nach vorne beugte.
... kratz-kratz-kratz ...
Was um alles in der Welt macht sie da? Dann schrie Collier beinahe auf, als ihm ein lebhafter, schlammfarbiger Hund auf den Schoß sprang und begann, ihm das Gesicht abzulecken. »Herrgott noch mal!«
Beide Mädchen schauten herüber, und die Jüngere sagte: »Sieh nur, da ist ein Mann.« Sie hatte einen ausgeprägten Südstaatenakzent.
Die Aussprache der Blonden klang etwas gedehnter. »He, Mister. Das ist bloß unser
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