Haus der bösen Lust (German Edition)
mit einem Hammer heraus und fing an, darauf einzuschlagen – der Zyklus begann erneut.«
Collier fühlte sich unbehaglich, als er fragte: »War es eine Scherenform?«
Überrascht sah sie ihn an. »Ja. Warum fragst du?«
Ihm war klar, dass er seinen morbiden Albtraum unmöglich erwähnen konnte. »Ich habe eine in Mrs. Butlers Vitrinen gesehen. Eine aus Stein gemeißelte Form für eine Schere.«
»Ja, so sah das Ding aus. Es war groß, wie eine Blechschere. Der Mann hatte eine Form für jede Hälfte, und nachdem er eine Weile darauf eingeschlagen hatte, warf er die zwei Teile mit der Zange beiseite. Auf dem Boden türmten sich glühend heiße Stapel davon.«
»Hast du ihm auf die Schulter geklopft oder ihn gestupst, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen?«
Mittlerweile wirkte Dominique müde. »Um ehrlich zu sein, das kam mir als Erstes in den Sinn, aber ich hab es nicht getan. Ich hatte nämlich Angst, wenn ich ihn berühre ...«
»Würde er nicht da sein.«
Sie nickte. »Ich brüllte ihn noch einmal an, und ich meine, aus Leibeskräften ... Offensichtlich bemerkte er nicht, dass ich da war, aber als ich schrie, hielt er inne und richtete sich auf. Dann drehte er sich um und sah mich direkt an.«
»Hast du nicht gerade gesagt, er hätte nicht bemerkt, dass du da warst?«
Sie machte mit der Hand eine wegwerfende Geste. »Vielleicht sollte ich besser sagen, er sah mich nicht direkt an, sondern direkt durch mich hindurch .«
Collier grübelte.
»Dann«, sie schluckte sichtlich, »fiel mir der Rest auf.«
»Was?«, stieß Collier frustriert hervor.
»Seine Augen«, sagte sie im Flüsterton. »Das Weiß seiner Augen. Sie wirkten überhaupt nicht menschlich. Das Weiß schien gelb zu sein, wie bei jemandem, der krank ist, nur mit dunkleren Einschlüssen wie Ruß. Sein Gesicht ... wie seine Augen aussahen ... Ich hatte in dem Moment mehr Angst als je zuvor in meinem Leben – in der einen Sekunde, in der ich ihm in die Augen starrte. Denn da hatte ich plötzlich das verrückte Gefühl, dass er mich für den Bruchteil einer Sekunde auch sehen konnte.«
Collier hielt es vor Spannung kaum noch aus. »Was hat er als Nächstes gemacht?«
»Er verzog das Gesicht, wodurch aus den narbigen, ledrigen Zügen eine groteske Maske wurde. Dann fing er wieder an, den Blasebalg zu pumpen.« Dominique stieß einen gedehnten Seufzer aus. »So. Das ist meine Geschichte.«
Rings um sie zirpten Grillen. Die Nacht war vollends angebrochen und schwüler geworden; Collier spürte feuchte Kälte unter den Achseln.
»Wow«, sagte er.
»Ich zwang mich, zurück in die Pension zu gehen, während hinter mir weiter das Licht und die Hitze tobten. Es war eine richtige Hitzewand . Als ich drinnen war und durchs Fenster hinausschaute, herrschte im Hinterhof – natürlich – Dunkelheit. Die Schmiede war kalt, und weit und breit konnte ich niemanden sehen.«
Collier glaubte ihr auf Anhieb. Im Gegensatz zu vielen anderen Menschen, die er bislang kennengelernt hatte, entsprach es nicht ihrem Stil, Blödsinn zu erzählen oder zu übertreiben. Zudem hatte er selbst merkwürdige Dinge gesehen, oder?
Er entschied, nichts davon zu erwähnen.
Eine Frage kam ihm in den Sinn. »War das ... damals, als du noch getrunken hast?«
Dominique lächelte. »Berechtigte Frage. Aber nein. Das war Jahre später. Eine Halluzination? Klar, könnte sein, nur glaube ich das nicht. Ebenso wenig denke ich, dass es ein Wachtraum oder dergleichen war, und ich nahm zu der Zeit auch keine Medikamente. Die Antwort werde ich wohl nie erfahren ...« Sie legte eine Hand auf ihr Herz. »Aber hier drin fühle ich, dass es ein Geist war. Ein Wiedergänger, ein körperloses Wesen oder wie man es heutzutage auch nennen mag.«
»›Geist‹ ist für mich völlig in Ordnung. Und das war das letzte Mal, dass du je einen Cateringauftrag in der Pension angenommen hast?«
»Oh nein«, entgegnete sie. »Ich habe seither mehrere gehabt. Aber das war das einzige Mal, dass ich etwas Abgefahrenes gesehen habe.«
Abgefahren ist gut. Ich hatte schon Stimmen, Pissegestank, Hunde, Albträume über Scheren und eine Frau, die mir am Schlüsselloch eine rasierte Muschi präsentiert hat. Kann es sein, dass wir BEIDE verrückt sind?
Collier ließ es dabei bewenden.
Dominique lachte halbherzig, doch es klang nicht überzeugend. »Na jedenfalls, jetzt, da ich es erzählt habe, klingt es ziemlich albern.«
»Da liegst du falsch«, verneinte Collier. »Dieses Haus ist ein echt unheimlicher
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