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Haus der Erinnerungen

Haus der Erinnerungen

Titel: Haus der Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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hätte gedacht, daß solches Regenwetter kommt, hm? Laß dir Zeit, Kind, und sag's mir, wenn das Wetter besser wird. Du weißt, sobald es ein bißchen heller wird, werden Elsie und William kommen.« Ich spürte ihren scharfen Blick im Rücken, als ich zur Tür hinausging. Im Flur, wo sie mich nicht mehr sehen konnte, lehnte ich mich an die Wand und holte mehrmals tief Atem. Ich fühlte mich so schwach wie kurz vor einem Zusammenbruch. Es war eine Kleinigkeit, den Tee zu kochen und den Toast zu machen, solange ich nur durch den Mund atmete und darauf achtete, daß der Geruch nicht in meine Nase drang. Wenn das doch geschah, bekam ich sofort heftigen Brechreiz und mußte schleunigst aus der Küche stürzen. Als ich schließlich mit einem einigermaßen appetitlich gerichteten Tablett zu meiner Großmutter ins Zimmer trat, sah sie sich ihr Frühstück erfreut an und fragte: »Wo ist denn deins?«
    »Unten, Großmutter. Ich esse gleich unten, wenn du nichts dagegen hast.«
    »Natürlich. Sieh zu, daß du runterkommst und setz dich an die Heizung. Dreh sie ruhig ganz auf. Ach, warum ziehst du nicht eine Wolljacke von mir über.«
    »Im Wohnzimmer ist es ja warm.«
    »Weißt du, du bist furchtbar mager geworden. Was soll denn deine Mutter sagen, wenn sie dich sieht? Sie wird sich fragen, was wir hier mit dir angestellt haben. Ehrlich, du bist so klapprig wie ein Skelett.«
    Ich nickte nur und dachte, gestern hast du mich mit einer Leiche verglichen. Vielleicht werde ich wirklich langsam eine. Als ich wieder unten im Wohnzimmer war, ließ ich mich in einen der beiden Sessel fallen und rührte mich nicht mehr von der Stelle. Ich war wirklich wie tot. Ich konnte nur auf die Entfaltung der nächsten Episode warten, meine kostbaren Momente mit der Vergangenheit. So unglücklich und tragisch sie waren, ich sehnte mich nur nach ihnen. Sie waren meine Wirklichkeit. Aber warum raubten sie mir Schlaf und Appetit? War das notwendig? Wie lange konnte ich das durchhalten, ohne tatsächlich zusammenzubrechen?
    Wenn Elsie heute abend oder morgen vorbeikam, würde sie bestimmt erschrecken - ich war ja selbst erschrocken, als ich mich im Spiegel gesehen hatte - und versuchen, mich zu sich nach Hause zu holen.
    Würde ich gehen dürfen? Oder hielten sie mich hier fest, um mich langsam zu töten, damit ich eine der Ihren werden würde?
    Am Nachmittag war ich wieder in der Vergangenheit. Ich war eingeschlafen, aber ich fand weder Frieden noch Ruhe in diesem Schlaf. Schreckliche Träume quälten mich, und eine tödliche Kälte hüllte mich langsam ein, drang durch meine Haut und meine Knochen bis ins Mark. Zitternd vor Kälte hatte ich mich den ganzen Nachmittag herumgewälzt und war, als ich erwachte und Jennifer allein am Kamin sitzen sah, noch matter und erschöpfter als zuvor.
    Sie war dabei, einen Brief zu schreiben. Ich rutschte bis an die äußerste Kante des Sofas und beugte mich, die Ellbogen auf die Knie gestützt, so weit vor, wie ich konnte. Nun konnte ich lesen, was sie schrieb.
    »Juli 1894 Liebster Victor, ich schreibe diesen Brief in der Hoffnung, daß er von einem hilfreichen Menschen befördert wird, der weiß, wo Du Dich aufhältst, und daß er Dich so über kurz oder lang erreicht. Ich habe Dir mittlerweile drei Briefe geschrieben, die alle ohne Antwort geblieben sind. Vielleicht hast Du sie nicht erhalten. Vielleicht möchtest Du mir nicht antworten. Ich werde dennoch versuchen, an der Hoffnung festzuhalten, daß Du am Leben und bei guter Gesundheit bist und mir antworten könntest, wenn Du nur wolltest.
    Vier Monate sind vergangen, seit ich Dich das letzte Mal gesehen habe. Wie gut ich mich an den Tag erinnere. Ich sehe noch Mr. Johnson vor mir, wie er dich von der Kanzel herab verdammte, während Du stolz und aufrecht in der Kirche saßest und mit keiner Miene verrietst, wie sehr die Verletzungen schmerzten. Und als ich Dich später am selben Nachmittag beschwor, Dein Schweigen zu brechen und Dich zu verteidigen, sagtest du nicht ein einziges Wort zu mir, sondern gingst daran, deine Koffer zu packen. Ich werde niemals verstehen, warum Du es schweigend hinnahmst, daß diese Stadt Dich an den Pranger stellte, obwohl doch Menschen dawaren, die an Dich glaubten. Ich weiß nicht, ob Du getan hast, was man Dir vorwirft, und ich würde mir niemals anmaßen, ein Urteil über Dich zu fällen. Aber ich weiß eines - an dem Tag, an dem Du aus Warrington fortgingst, ist etwas in mir gestorben.
    Ich möchte, daß Du zurückkommst,

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