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Haus der Erinnerungen

Haus der Erinnerungen

Titel: Haus der Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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der mit mir nichts zu tun hatte. Wenn man unter Palmen und ewiger Sonne lebt, wenn man siebenundzwanzig ist und das ganze Leben noch vor sich zu haben glaubt, dann denkt man nicht an die eigene Vergänglichkeit. Man denkt nicht an das Ende der Dinge, an die Vergangenheit, an die vielen Leben, die vor einem gelebt worden sind.
    Wir rumpelten über das Kopfsteinpflaster die Straße hinunter. Elsie machte mich auf Orte aufmerksam, die mir als kleines Kind vertraut gewesen waren, und mein Herz blieb kalt. Ich war nichts weiter als eine Fremde unter Fremden, und mein Zuhause war auf der anderen Seite der Erde.
    Kaum traten wir durch die Tür, war er wieder da, dieser bedrückende Schatten, den das Haus auf mich zu werfen schien. Diesmal jedoch führte ich ihn auf die Stimmung zurück, in die der Besuch bei meinem Großvater mich versetzt hatte. Geruch nach Fisch und Bratkartoffeln empfing uns, als wir die Tür zum Wohnzimmer öffneten. Großmutter stand in ihrer kleinen Küche und bereitete für uns das Mittagessen. Es war fast halb drei. Elsie und Ed blieben zum Essen. »Wie war er heute?« fragte Großmutter, nachdem wir uns alle vom panierten Fisch, den Erbsen und den Kartoffeln genommen hatten.
    »Ganz gut, Mama. Er hat geschlafen.«

    »Er wirkte sehr friedlich«, sagte Ed.
    Großmutter nickte beruhigt. »Er bekommt gute Pflege im Krankenhaus. Er hat es immer warm, und das Essen ist ausgezeichnet. Hat er sich gefreut, Andrea zu sehen?«
    »Ich glaube schon«, murmelte Elsie.
    »Weißt du, Kind«, sagte Großmutter, sich mir zuwendend, »als dein Großvater vor ein paar Wochen krank wurde und nicht mehr gehen konnte und die Sanitäter ihn wegbrachten, da hätte ich mich am liebsten gleich zum Sterben niedergelegt. Es war, als wäre mir ein Teil von mir weggerissen worden. In den ersten Tagen habe ich schrecklich gelitten. Aber als ich sah, wie gut es ihm im Krankenhaus ging, wie liebevoll die Schwestern waren, wußte ich, daß es das Beste für ihn war. Ich habe Gott um Kraft gebeten, und allmählich konnte ich mich mit dem abfinden, was geschehen war.« Ihre ruhigen grauen Augen hielten mich fest. Dann sagte sie leise: »Er kommt da nie wieder raus, Andrea.«
    »Aber Mama!« Elsie sprang auf. »Was redest du da? Er kommt bestimmt wieder nach Hause, du wirst schon sehen.«
    »Kein Mensch lebt ewig, Elsie.«
    Als Elsie und Ed sich etwas später zum Gehen bereit machten, blieb ich am Tisch vor dem Fenster sitzen, schaute hinaus in den blauen Novemberhimmel und fragte mich, was mich das alles anging.
    Ich hörte, wie Großmutter, die die beiden zur Tür gebracht hatte, die Polsterrolle wieder vor die Ritze schob und die schweren Vorhänge zuzog. Dann kehrte sie ins Wohnzimmer zurück. »Ich weiß, es war schwer für dich, deinen Großvater so zu sehen, Andrea. Aber er hat seinen Frieden, Andrea, daran mußt du denken.«
    Ich mied ihren Blick. Ich fürchtete, sie könnte in meinen Augen die Wahrheit sehen, und die Wahrheit war, daß ich für meinen Großvater so wenig empfand wie für die anderen alten Männer, die krank oder sterbend in diesem Saal lagen. Die Realität des Todes, dem keiner von uns entgehen kann, war es, die mir so auf die Stimmung drückte. Diese Unausweichlichkeit, über die ich vorher nie nachgedacht hatte, und die mich nun plötzlich an Doug denken ließ.
    »Ich weiß, was du brauchst«, sagte Großmutter aufmunternd. »Ich mach dir ein paar heiße scones, die werden dir schmecken. Ich habe schon lange keine mehr gebacken, aber ich habe alle Zutaten da. Na, wie war's? Hättest du Lust darauf?« Während sie auf ihren Stock gestützt in die Küche humpelte, stand ich vom Stuhl auf und versuchte, die schwarze Stimmung abzuschütteln.
    »Kann ich - dir was helfen?« rief ich.
    »Kommt nicht in Frage. Du brauchst gar nicht erst reinzukommen. Setz dich ans Feuer und mach's dir gemütlich.« Ich ging ein Weilchen im Zimmer umher und blieb schließlich vor der Glasvitrine in der Ecke stehen. Auf einem der Borde standen mehrere Bücher. Ich las die Titel, entdeckte eines, das mich interessierte, und öffnete die Tür, um es herauszunehmen. Es war eine in schwarzes Leder gebundene Ausgabe von Rider Haggards She. Auf der Innenseite war ein Ex Libris eingeklebt. »Naomi Dobson«, stand darauf, »zur Belohnung für fleißigen Schulbesuch und guten Fortschritt. 31. Juli 1909.«
    Ich schlug das Buch auf und blätterte darin herum. Ich hatte diese Abenteuergeschichte über eine Gruppe von Forschern, die ins

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