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Haus der Erinnerungen

Haus der Erinnerungen

Titel: Haus der Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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unglaublich müde und wäre am liebsten sofort zu Bett gegangen, aber ich spürte, wie sehr Großmutter meine Gesellschaft genoß, wieviel Freude es ihr machte, mich zu umsorgen, und zwang mich deshalb, wach zu bleiben. Sie schwatzte eine Weile über dieses und jenes, über das Ausländerproblem in England, über lang vergangene glückliche Tage, erzählte mir aus der Kindheit meiner Mutter, von William, Elsie und Ruth, die in diesem Haus aufgewachsen waren, von dem Tag, als meine Mutter der Familie ihren zukünftigen Mann vorgestellt hatte. Ich hörte ihr gern zu, auch wenn ich vieles, was sie erzählte, schon von meiner Mutter gehört hatte. Nach einer Weile jedoch fiel mir auf, daß sie es sehr bewußt vermied, von der ferneren Vergangenheit zu sprechen. Als gäbe es da eine Tür, die sie nicht zu öffnen wagte.
    Dann sagte sie: »Ich hab hier irgendwo einen Karton mit Fotografien. Die mußt du dir ansehen.«
    Ich blieb mit geschlossenen Augen in meinem tiefen Sessel sitzen, gab mich der Stille und dem Frieden des Raums hin und versuchte, eine Mauer aufzurichten gegen die Erinnerungen, vor denen ich hierher geflohen war. Ich hoffte, es würde nicht mehr lang dauern, bis ich ohne Schmerz an Doug denken konnte. »Na bitte, da sind sie schon.« Großmutter hatte den Karton mit den Fotos gefunden und setzte sich wieder zu mir. »Das sind alles Bilder von deiner Mutter und Elsie und William, als sie noch klein waren.« Sie kramte in der Schachtel. »Hier ist eine von uns allen, als wir am Meer waren. Das muß so um 1935 gewesen sein. Deine Mutter war damals fünfzehn, Elsie sechzehn, und William war noch ein richtiger kleiner Lauser.«
    Ich sah mir die unscharfe Aufnahme an und beugte mich dann neugierig über den Karton. Die Fotografien lagen kunterbunt durcheinander, lauter Schwarzweißaufnahmen, die alle etwa aus der gleichen Zeit zu stammen schienen.
    Aber am Rand des Durcheinanders, an die Wand des Kartons gedrückt, so daß eine Ecke in die Höhe ragte, entdeckte ich ein Foto, das größer war als die anderen und, nach dem zu urteilen, was von ihm zu sehen war, beträchtlich älter. Während Großmutter weiter schwatzte, griff ich in den Karton und zog das Bild heraus.
    Ich hatte recht gehabt. Sie war wirklich älter als die anderen. Viel älter. Eine sepiabraune, leicht verblaßte Fotografie mit einem Knick in der Mitte, die drei Kinder auf einer Treppe vor einem Haus zeigte.
    Wie gebannt starrte ich auf das Foto. Einen Moment stockte mir der Atem.
    »Großmutter«, sagte ich dann.
    Sie blickte auf das Foto in meiner Hand. »Was ist das für eines?«
    »Wer sind die Kinder, Großmutter?«
    »Warte, da muß ich erst meine Brille aufsetzen.« Sobald sie ihre Bifokalbrille auf der Nase hatte und die Gesichter der drei Kinder erkennen konnte, verzog sie unwillig den Mund.
    »Oh«, sagte sie wegwerfend. »Das da! Das sind die Townsends, Andrea. Die Familie deines Großvaters. Das sind Harriet, Victor und John. Komm, gib her, das ist nichts -« Und sie griff nach dem Foto, um es mir wegzunehmen.
    Aber ich hielt es fest. Ich sah, daß meine Hand zitterte. »Wer -« Ich mußte meine Lippen befeuchten. »Wer ist wer, Großmutter?«
    »Wie?«
    »Wer ist welches Kind, Großmutter? Zeig es mir.«
    »Hm, warte mal.« Sie beugte sich vor und tippte mit dem Finger der Reihe nach auf die drei Gesichter. »Das ist Harriet. Das ist Victor. Und das ist John.«
    Der Junge in der Mitte. Der zwischen dem Mädchen mit den Korkenzieherlocken und dem kleineren Jungen im Matrosenanzug. Der, den Großmutter Victor genannt hatte. Dieser Junge hatte am Nachmittag durch das Fenster hereingesehen.

    3

    »Aber das ist doch unmöglich«, protestierte sie. »Das hast du dir eingebildet.«
    »Nein, bestimmt nicht. Das ist der Junge, den ich am Fenster gesehen habe.«
    »Es war vielleicht einer, der ihm ähnlich sah -«
    »Nein. Er war genauso angezogen. Es ist mir in dem Moment nicht aufgefallen, aber er hatte altmodische Sachen an, die gleichen Sachen, die er hier auf dem Foto trägt. Ich kann mir das gar nicht eingebildet haben, Großmutter. Da hatte ich das Foto doch noch gar nicht gesehen. Er war so lebendig, wie du jetzt vor mir sitzt.«
    Großmutter schüttelte beinahe mitleidig den Kopf. »Andrea, das sind deine Nerven.
    Du bist überreizt. Das ist ja auch kein Wunder, wo du kurz vorher bei deinem Großvater warst
    -«
    »Was hat das denn damit zu tun?« Ich krampfte die Hände ineinander, um sie am Zittern zu hindern. Ein Gefühl

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