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Haus der Erinnerungen

Haus der Erinnerungen

Titel: Haus der Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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gesehen. Aber es ist sicher noch irgendwo im Haus.«
    »Ist es das Familienalbum der Townsends?«
    Sie nickte.
    Ich überlegte einen Moment. »Großmutter, das Porträt, das du mir gestern abend gezeigt hast, das von der jungen Frau - du hast gesagt, sie war meine Urgroßmutter.«
    »Richtig. Jennifer Townsend, das arme Ding.«
    »Wieso arm?«
    »Weil Victor Townsend ihr Schreckliches angetan hat. So, und jetzt ist es genug.«
    Ich lief in meinem Zimmer hin und her. Ich redete mir ein, ich täte es, um mich warmzuhalten, aber in Wirklichkeit war es reine Nervosität.
    Ich hielt mir vor, daß ich übermüdet sei, daß dieser Besuch nicht nur körperlich, sondern auch seelisch anstrengend sei und eine Menge Kraft koste, und es fiel mir nicht schwer, die seltsamen Begebenheiten - den Jungen am Fenster, die Erstickungsangst der vergangenen Nacht - als Ausgeburten der Erschöpfung abzutun.
    Aber diese Dinge waren es nicht, die mich jetzt beschäftigten. Es war etwas anderes, eine Ahnung, die sich mit Vernunft und Logik nicht vertreiben ließ. Immer stärker wurde das Gefühl, daß es mit diesem Haus etwas besonderes auf sich hatte. Am vergangenen Abend, nach meiner Ankunft, und den ganzen folgenden Tag lang hatte ich mir vorzumachen versucht, es sei nur meine Einbildung; aber diesmal wußte ich es. In diesem Haus stimmte etwas nicht. Und das war der Grund, weshalb ich jetzt rastlos wie ein Tier im Käfig hin und her lief.
    Kurz zuvor hatte ich zu meiner Bestürzung und Enttäuschung erfahren, daß meine Großmutter kein Telefon hatte. Ich hatte plötzlich das Bedürfnis gehabt, meine Mutter anzurufen, ich brauchte sie; ich brauchte den Kontakt mit ihr und meiner wahren Realität, die Tausende von Kilometern entfernt war. Außerdem war dies hier ihre Familie, und dies war ihr Haus.
    Was hatte denn ich mit alldem zu tun?
    Ohne Telefon fühlte ich mich isoliert, von der Welt abgeschnitten. Ein merkwürdiges Einsamkeitsgefühl, das ich nicht kannte, bemächtigte sich meiner. Ich fühlte mich verwaist, verlassen, allein gelassen mit einer fremden alten Frau in diesem beklemmenden Haus.

    Hinzu kam, daß ich ständig an Doug denken mußte. Ich hatte die Reise hierher als Möglichkeit gesehen, Abstand von Doug zu bekommen und ihn zu vergessen. Tatsächlich jedoch beschäftigte ich mich mehr denn je mit ihm. Und das Verrückte war, daß meine Erinnerungen nicht um den letzten bitteren Abend kreisten, sondern um die glücklichen Stunden, die wir miteinander verlebt hatten. Sosehr ich mich bemühte, ich konnte meiner Gedanken nicht Herr werden.
    Ich konnte nicht verstehen, woher das kam. Siebenundzwanzig Jahre lang hatte ich mich stets perfekt unter Kontrolle gehabt. Wieso schaffte ich das jetzt plötzlich nicht mehr?
    Es war, als hätten sich meine Gedanken selbständig gemacht und trieben ihr Spiel mit mir.
    Es war fast Mitternacht, als es klopfte. Erschrocken fuhr ich herum.
    »Andrea, Kind, kannst du nicht schlafen?« fragte meine Großmutter hinter der Tür.
    »Doch, doch - es ist alles in Ordnung, Großmutter.« Ich trat zögernd zur Tür und blieb stehen. Sie hatte wahrscheinlich meine Schritte und das Knarren der Bodendielen gehört. »Es ist alles in Ordnung, Großmutter«, wiederholte ich. »Ich hab nur noch ein bißchen Gymnastik gemacht. Geh ruhig wieder zu Bett.«
    »Möchtest du einen Becher warme Milch?« fragte sie. Gewissensbisse plagten mich.
    Ich sah sie in ihrem Flanellnachthemd zitternd draußen im eisigen Flur stehen. »Nein, danke, Großmutter. Ich kriech jetzt gleich ins Bett.«
    »Ist es dir auch warm genug, Kind? Möchtest du vielleicht noch eine Wärmflasche?«
    »Nein, nein, nicht nötig.«
    »Na gut. Vergiß nicht, die Wurst vor die Tür zu schieben, damit du keinen Zug bekommst. Gute Nacht, Kind, schlaf gut.« Ich hörte sie mühsam durch den Flur zu ihrem Zimmer humpeln und die Tür schließen. Dann war es wieder still im Haus. Widerstrebend schob ich die Polsterrolle vor die Türritze, knipste das Licht aus und kroch ins Bett.
    Innerhalb von Sekunden war ich eingeschlafen. Es begann wie in der vergangenen Nacht. Es riß mir förmlich die Augen auf, und ich war mit einem Schlag hellwach, ohne zu wissen wieso. Dann der Moment totalen Gedächtnisverlusts. Danach der erstickende Druck auf meinen Körper.
    »Nein«, stöhnte ich und kämpfte gegen die aufsteigende Panik. Ich blieb ganz still liegen und versuchte, das Gefühl zu analysieren, festzustellen, ob ich wirklich wach war oder nur träumte, ob es

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