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Haus der Erinnerungen

Haus der Erinnerungen

Titel: Haus der Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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diesem Moment so nahe und so lebendig, daß ich meinte, ich brauchte nur den Arm auszustrecken, um sie berühren zu können. Und was würde geschehen, wenn ich es tat? Diese Menschen aus der Vergangenheit waren meiner Anwesenheit nicht gewahr, und dennoch erschienen sie mir so real.
    »Die muß ich Mutter zeigen«, rief Harriet und lief schon zur Tür. »Sie hat bestimmt noch nie von einer Armbanduhr gehört.«
    Ein kalter Wind blies ins Zimmer, dann fiel die Tür hinter ihr ins Schloß. In der Stille war nur das Prasseln des Feuers zu hören. Ich sah Victor an. Der Sturm, der in seiner Seele tobte, spiegelte sich in seinen dunklen Augen, und ich vernahm die Frage, die er sich stellte: Warum mußte das geschehen ?
    Es berührte mich so tief, daß ich am liebsten aufgesprungen wäre und ihn umarmt hätte, wie Harriet das tun durfte. Doch mir war das nicht erlaubt. Ich mußte mich mit der Rolle der stummen Beobachterin zufriedengeben.
    Aber ich nahm teil an seiner Qual. Ich fühlte sie. Ich konnte mich vor den Leidenschaften dieser Menschen nicht schützen. Ich hatte keine Abwehr gegen sie. Von allen Seiten stürmten die Gefühle auf mich ein: Jennifers ängstliche Verwunderung über die seltsame Wirkung, die Victor auf sie ausübte; Johns Eifersucht auf den Bruder, der im Mittelpunkt stand; Victors Liebe zu einer Frau, die er erst wenige Minuten kannte, und seine Verzweiflung darüber.

    »Es ist schon dunkel draußen«, sagte John plötzlich. »Vater wird oben Feuer wollen.
    Bitte entschuldigt mich...« Er sah lächelnd zu Jennifer hinunter, aber sie blickte ihn an, als nähme sie ihn gar nicht wahr. Er lief an mir vorbei zur Tür hinaus, und ich blieb allein mit den beiden Menschen, die meine Urgroßeltern waren.
    Die Stille war voller Scheu und Unbehagen. Jennifer spielte mit ihren Fingern und starrte ins Feuer, und Victor, der vor ihr stand, sah grüblerisch ins Leere. Ich wünchte, sie würden sprechen, ihren Gefühlen Ausdruck geben, offenbaren, was in ihnen vorging, ehe die anderen zurückkehrten.
    Wie in Antwort auf mein stummes Flehen hob Jennifer den Kopf und sagte: »Harriet hat mir erzählt, daß Sie in einigen Monaten nach Edinburgh gehen, Mr. Townsend.«
    Er sah Jennifer an, und der grüblerische Blick in seinen Augen wich einem Ausdruck ungläubiger Verwunderung. Zugleich schoß ihm flüchtig ein Gedanke durch den Kopf: All die Frauen in London - wie viele? Flüchtige Begegnungen, die nur einen Tag oder eine Woche wichtig waren; Abwechslung und Ablenkung. Aber das hier, das ist etwas Neues...
    »Ja, das ist richtig. Sobald ich mein Diplom in der Tasche habe, gehe ich dort ans Königliche Krankenhaus.«
    »Und werden Sie lange dort bleiben ?« fragte sie scheu und so leise, daß es kaum zu hören war.
    »Das ist ganz unbestimmt, Miss Adams. Es kann sein, daß ich überhaupt nicht zurückkomme.«
    Ihre Augen weiteten sich. »Oh, wie traurig! - Für Ihre Familie, meine ich.«
    »Es zieht mich nicht nach Warrington. Ich möchte Forschungsarbeit leisten, neue Heilmittel entdecken. Auf diesem Gebiet wird gerade jetzt in Schottland viel getan, und mit einem Empfehlungsschreiben von Mr. Lister werde ich die richtigen Männer kennenlernen.«
    »Ich finde das sehr bewundernswert.« Sie senkte den Kopf und blickte wieder ins Feuer. Wieder spürte ich Victors tiefes Verlangen, während er sie mit brennendem Blick betrachtete. »Wie lange leben Sie schon in Warrington, Miss Adams ?«
    Sie sprach, ohne aufzublicken. »Seit einem Jahr. Wir kommen aus Prestatyn in Wales
    -«
    »Ah ja, ich dachte mir schon —«
    »Mein Vater bekam einen guten Posten im Stahlwerk angeboten. Er ist Abteilungsleiter, wissen Sie...« Jennifer hob den Kopf und sah Victor an. Kaum verhohlene Faszination lag auf ihrem Gesicht. Ich spürte, wie die Liebe in ihr anschwoll, und hörte ihre stumme Frage: Wie ist das möglich ?
    Ihre Lippen waren leicht geöffnet, und die großen, fragenden Augen waren wie die eines Rehs.
    »Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, Miss Adams«, sagte Victor.
    »Es ist schade, daß wir uns erst so spät kennengelernt haben.« Sie sagte nichts.
    »Wenn wir uns vor einem Jahr begegnet wären«, fuhr er ruhig fort, »dann...«
    »Ja, Mr. Townsend?« sagte sie leise. »Dann wären wir vielleicht Freunde geworden.«
    »Aber sind wir das jetzt nicht? Ich kenne Harriet seit einem Jahr. Wir sind viel zusammen. Und sie hat mir viel von Ihnen erzählt. Ich habe das Gefühl, Sie schon zu kennen, Mr. Townsend.«

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