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Haus der Erinnerungen

Haus der Erinnerungen

Titel: Haus der Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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plötzliche intensive Leidenschaft, eine Aufwallung von Gefühlen, die eben noch nicht spürbar gewesen waren. Aber ich nahm auch Verwirrung und Bestürzung wahr, denn diese Leidenschaft war ihr neu und erschreckte sie. Endlich begann Victor zu sprechen. »Meine kleine Schwester hat ihre guten Manieren vergessen«, sagte er gedämpft. »Mir scheint, ich muß mich selbst vorstellen. Victor Townsend.« Harriet wirbelte herum. »Demnächst Dr.
    Townsend! Oh, Victor, verzeih mir. Vor lauter Aufregung, dich zu sehen, habe ich Jennifer ganz vergessen. Victor, das ist Jennifer Adams. Sie wohnt in der Marina Avenue gleich beim Anger.«
    Er trat zu ihr und reichte ihr die Hand. Ich spürte die knisternde Spannung. Sie ging von beiden aus.
    John stand jetzt aus seinem Sessel auf, um ihn Jennifer anzubieten. Sehr steif und förmlich stand er vor ihr, ganz der wohlerzogene Kavalier. Aus ihrem Verhalten schloß ich, daß sie einander schon kannten. Harriet nahm Jennifers Umhang und trug ihn zusammen mit ihrem eigenen hinaus. Victor starrte sie immer noch an, doch sein Gesicht war jetzt umwölkt und nachdenklich. Jennifer strich sich mit den Händen glättend über ihren Rock, der schlichter war als Harriets, und ließ sich anmutig in den Sessel am Feuer sinken. Unter ihren gesenkten Lidern spürte ich Verwirrung. Sie rührte mich sehr, da ich wußte, was sie empfand.
    »Auf jeden Fall«, rief Harriet, als sie wieder ins Zimmer kam, »ist es ein aufregendes Vehikel, nicht wahr, Jenny? Es macht zwar einen Höllenlärm und stößt riesige Dampfwolken aus, aber es fährt ganz von allein.«
    Victor riß sich mit einer Anstrengung aus seinen Gedanken, schüttelte den Kopf und sah stirnrunzelnd seine Schwester an. »Was redest du da eigentlich ?«
    »Von dem Automobil, das sich die O'Hanrahans gekauft haben. Jenny und ich haben es uns heute angesehen. Es fährt ganz von allein, Victor.«
    »Der Verbrennungsmotor«, sagte Victor ruhig und sah zu der jungen Frau hinüber, die in dem Sessel neben mir Platz genommen hatte. Ich hatte den Eindruck, er wollte sich vergewissern, daß sie wirklich da war und nicht nur ein Bild seiner Phantasie. »Das mußte ja früher oder später kommen. Die Entwicklung geht heute auf allen Gebieten so rasch vorwärts, daß beinahe täglich etwas Neues kommt.«
    »Ja, die O'Hanrahans haben sogar schon ein Telefon! Und elektrisches Licht. Wieso können wir kein elektrisches Licht haben?« John zuckte die Achseln. »Dieses Automobil ist sicher keine Sache von Dauer, da wette ich. Zu teuer, zu laut, viel zu umständlich instandzuhalten, und außerdem verpestet es die Luft. Es ist nichts weiter als ein neues Spielzeug, das Pferd wird es niemals ersetzen. Die O'Hanrahans wissen offenbar nicht wohin mit ihrem Geld. Im übrigen weißt du genau, daß du mit diesen Leuten -«
    »Ach John!«
    »Harriet«, rief Victor impulsiv. »Beinahe hätte ich vergessen, daß ich dir etwas mitgebracht habe.« Er nahm ein kleines Päckchen vom Kaminsims und reichte es ihr.
    »Victor! Vielen Dank, wie lieb von dir.« Vorsichtig packte Harriet das Geschenk aus und hob den Deckel des Kästchens, das unter dem Papier verborgen war. Mit großen Augen sah sie auf. »Was ist das?«
    »Das ist eine Uhr, die man am Handgelenk trägt.« John trat näher, um sich die Sache anzusehen. »Was, zum Teufel -das ist doch nichts anderes als eine Taschenuhr.«
    »Aber sie wird am Arm getragen. Sie ist extra für Damen entworfen, verstehst du, da sie kein Uhrtäschchen an ihren Kleidern haben. Komm, Harriet, gib mir deine Hand.«
    Victor legte seiner Schwester die Uhr um und gab ihr einen leichten Klaps auf die Hand. »Na bitte! Genau wie die eleganten Frauen in London.«
    Harriet strahlte wie ein Kind. Sie hielt die Uhr ans Ohr, horchte einen Moment und warf Victor dann mit einem Freudenschrei die Arme um den Hals.
    »Also, soviel Aufmerksamkeit bekomme ich nie«, bemerkte John neckend, aber ich glaubte einen Unterton von Groll in seiner Stimme zu hören.
    Ich sah zu Jennifer hinüber, die still am Feuer saß, die Hände im Schoß gefaltet. Der Schein der Flammen warf goldene und kupferrote Glanzlichter auf ihr tiefbraunes lockiges Haar. In ihren Augen war eine Schwermut, ein Ausdruck tiefer Sehnsucht und Verwirrung, der mich ergriff. Das zarte Profil mit der fein geschwungenen Nase und dem schwellenden Mund war sehr schön. Es machte mich stolz zu wissen, daß diese Frau meine Urgroßmutter war.
    Der Gedanke hatte etwas Bestürzendes, denn sie war in

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