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Haus der Erinnerungen

Haus der Erinnerungen

Titel: Haus der Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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Victor.
    »Aber ich liebe ihn«, stieß Harriet weinend hervor. Wieder klatschte ein Schlag, wieder schrie Harriet auf. Die Spannung war kaum zu ertragen, und dennoch konnte ich mich nicht vom Fleck rühren. Es war, als wäre ich dazu verdammt, ihren Streit mitanzuhören, ohne eingreifen zu können. »Du wirst diesen Sean O'Hanrahan nicht wiedersehen, und damit Schluß. Wir haben dir den Umgang mit diesen Leuten verboten. Wehe, ich erwische dich noch einmal dabei, daß du diesem Burschen Briefe schreibst! Bei Gott, du wirst wünschen, du wärst tot!«
    Ich hörte ein Geräusch, als würde etwas über den Boden geschleift. Ich hörte schwere Schritte und das Keuchen heftiger Anstrengung. Harriet wimmerte und weinte zum Gotterbarmen. Aber ich hörte keine Schläge mehr, kein Poltern, keine Schreie. Dann wurde es einen Moment ganz still. Danach klappte eine Tür zu, ein Schlüssel drehte sich knirschend im Schloß. Plötzlich öffnete sich die Tür zum Vorderzimmer unter meiner Hand, und kalter Wind blies mir ins Gesicht. Das Zimmer war wie damals, als ich Harriet schluchzend auf dem Bett hatte liegen sehen, von einem gespenstischen Licht erfüllt. Diesmal jedoch strahlte das Licht nicht auf das Bett, sondern auf den Kleiderschrank, einem Leitlicht in dunkler Nacht gleich. Ich blickte mit weit aufgerissenen Augen in das Licht, von einem Grauen erfaßt, das ich nun schon kannte. Ich wollte nicht in das Zimmer hineingehen. Ich wollte nur kehrtmachen und davonlaufen, die Treppe hinunterstürzen und schreiend in die Nacht fliehen. Die lauernden Schatten im Zimmer, der grabeskühle Luftzug - das alles hatte etwas Unirdisches. Auf der anderen Seite der Tür wartete das Grauen, und ich wurde hineingezogen. Wie in einer Trance und dennoch hellwach ging ich Schritt für Schritt zum Kleiderschrank, und als ich vor ihm stehenblieb, sah ich, wie neu er war, wie glänzend poliert das Holz, wie klar erkennbar seine Maserung. Es war der Kleiderschrank einer längst vergangenen Zeit, und in ihm hingen nicht, das wußte ich, meine alten Blue Jeans und T-Shirts, sondern das grausige Werk eines Tyrannen, der lang unter der Erde lag.
    Ich hatte keine Macht über meine Hand, als diese sich zur Schranktür bewegte. Mein ganzer Körper war in Schweiß gebadet, der mir eiskalt über die Haut rann. Mein Atem war flach und hechelnd; ich spürte das Flattern meines Herzens. Solches Grauen hatte ich nie erlebt. In diesem Kleiderschrank wartete etwas auf mich. Aus irgendeinem Grund senkte ich den Blick zu meinen Füßen und gewahrte auf dem leuchtenden Teppich des Jahres 1891
    einige hellrote Tropfen frischen Bluts. In einem dünnen Rinnsal führten sie zum Schrank, und der letzte Tropfen haftete an seinem Sockel, wie im letzten Moment gefallen, bevor die Tür zugeschlagen worden war.
    Hatte man Harriet in diesen Schrank eingesperrt? Oder war es nicht Harriet, die in diesem Schrank saß, sondern jemand anderer ? Oder - etwas anderes ?
    Der unheimliche Sog des Schranks, den ich schon in meiner ersten Nacht in diesem Zimmer gespürt hatte, ließ nicht nach. Ich zitterte am ganzen Körper, ich hatte völlig die Herrschaft über mich selbst verloren. Ich mußte den Arm heben und die Schranktür öffnen.
    Ich mußte sehen, was sich darin verbarg. Und während meine Hand sich gegen meinen Willen hob - als stünde ich unter dem Zwang einer fremden Macht —, während Übelkeit in mir aufstieg und mich fast erstickte, dachte ich gleichzeitig, ich werde gezwungen, dieses Ding zu befreien. Obwohl meine Hand unkontrollierbar zitterte, gelang es mir, den Schlüssel zu umfassen, der in dem kleinen Messingschloß steckte, und ich sah, wie weiß meine Finger waren, die ihn fest umspannten. Dann drehte meine Hand, so sehr ich mich dagegen zu wehren versuchte, langsam den Schlüssel nach rechts, bis ich ein metallisches Knacken hörte.
    Langsam schwang die Schranktür auf.
    Mir war so schwach und übel, daß ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte.
    Eine kalte, feuchte Hand berührte mein Gesicht und spürte dort den kalten Schweiß. Meine Hand, die jemand anderem zu gehören, die völlig körperlos zu sein schien, strich mir über Stirn und Nacken. Der Schrank mit der sich Zentimeter um Zentimeter öffnenden Tür begann vor meinem Blicken zu schwanken und drohte zu kippen; der Boden unter meinen Füßen hob und senkte sich in Wellenbewegungen, und das geisterhafte Licht begann jetzt zu verblassen.
    Noch während die fransigen Ränder der Dunkelheit

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