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Haus der Erinnerungen

Haus der Erinnerungen

Titel: Haus der Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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einem der Sessel, vom warm glühenden Feuerschein eingehüllt, saß Jennifer. Sie war allein. Sehr langsam und behutsam trat ich ein und schloß leise die Tür hinter mir, um das feine Gespinst des friedlichen Bildes nicht zu zerstören. Ich trat ein paar Schritte von der Tür weg und blieb an die Wand gelehnt stehen.
    Jennifer war mit einer Handarbeit beschäftigt. Ich sah den Stickrahmen in ihrer Hand, die feine rote Seide des Garns, das Blitzen der Nadel, die auf und ab stichelte. Jennifer trug ihr Haar hochgekämmt und mit dünnen Bändern durchflochten. Ihr lavendelfarbenes Kleid war hochgeschlossen und reichte fast bis zu ihren Fußspitzen. Sie wirkte sehr gelassen und sehr weiblich, wie sie am Kamin saß, das zarte Gesicht leicht gerötet von der Glut, und sich konzentriert ihrer Arbeit widmete.
    Ich dachte wieder an die Begegnung der vergangenen Nacht und meine wilde Hoffnung, mit ihr Kontakt aufnehmen zu können, indem ich sie ansprach. Aber das war eine Illusion gewesen. Sobald ich ihren Namen gerufen hatte, war sie verschwunden. Aber nun war sie wieder hier, und obwohl ich auf der anderen Seite des Zimmers stand, spürte ich, daß sie an Victor dachte. Aus dem Flur drang das Geräusch fester männlicher Schritte herein, und ich hielt den Atem an. Wir würden ihn wiedersehen! Die Tür wurde aufgestoßen, ein kalter Luftzug blies ins Zimmer, und dann sah ich zu meiner Enttäuschung John Townsend herein-kommen. Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, blieb er einen Moment lang stehen. Er schwankte ein wenig und blickte Jennifer, die von ihrer Arbeit aufsah, schweigend an. »Du bist ja völlig durchnäßt«, sagte sie und wollte aufstehen. »Kümmre dich nicht um mich«, brummte John ungeduldig und fuhr sich mit einer Hand über die blutunterlaufenen Augen. Ich konnte den Alkoholdunst in seinem Atem riechen, als er sprach. »Kümmre dich lieber um dich selbst.«
    »Was soll das heißen ?«.
    »Du!« brüllte er sie plötzlich an und streckte den Arm aus, als wollte er sie mit wackligem Zeigefinger durchbohren. »Du hast mich verraten! Mich, deinen Mann.«

»John!« Jennifer sprang auf. Die Handarbeit fiel unbeachtet zu Boden.
    »Du warst bei Victor, habe ich recht? Du hast ihm gesagt, daß ich Schulden habe und die Buchmacher hinter mir her sind. Und du hast ihm gesagt, daß ich das Spielen nicht lassen kann.«
    »Aber John!«
    Er machte einen Schritt auf sie zu, und ich sah, wie sich die Besorgnis in Jennifers Augen in Furcht verwandelte. Sie drückte beide Hände auf die Brust, als er auf sie zukam, aber sie wich nicht vor ihm zurück.
    »Das ist nicht wahr, John«, entgegnete sie ruhig. »Ich war nicht bei Victor.«
    »Woher weiß er dann so genau Bescheid? Er weiß sogar den Betrag, den ich schulde.
    Bis auf den letzten verdammten Penny. Und er wollte ihn bezahlen, Jenny. Er hat mir Geld angeboten!«
    »Was ist daran so -«
    »Gottverdammich, hast du denn überhaupt keinen Stolz ?« brüllte er sie an. Zitternd vor Wut kam er noch näher an sie heran. »Mußtest du ausgerechnet meinem Bruder über unsere privaten Sorgen dein Herz ausschütten? Wo bleibt eigentlich dein Schamgefühl?«
    »Es war Harriet, John. Sie war bei ihm, nicht ich.«
    »Das ist eine gemeine Lüge. Harriet würde niemals mit Victor über Dinge sprechen, die sie nichts angehen. So dumm ist sie nun auch wieder nicht. Du warst es, Jenny, und ich weiß es, weil ich genau beobachtet habe, wie ihr beide euch anseht. Du kriegst ja richtige Kuhaugen, wenn du meinen Bruder siehst. Du brauchst gar nicht zu versuchen, es zu leugnen.
    Und er kann aus seinem Herzen auch keine Mördergrube machen. Ihm läuft förmlich das Wasser im Mund zusammen, wenn er dich anschaut.«
    »O mein Gott!« flüsterte Jennifer und wandte sich ab. »Warum mußtest du gerade zu ihm gehen, Jenny?« John stand ziemlich wacklig auf den Beinen. Seine Augen waren glasig, und sein Blick war verschwommen. Es erschreckte mich, ihn so zu sehen, angetrunken und nachlässig. Sein Umhang war voller Schmutzspritzer, und den Hut hatte er auf den Hinterkopf geschoben.
    »Du hast wohl geglaubt, ich hätte keine Ahnung, was vorgeht, Jenny ?« fragte er jetzt in ruhigerem Ton. »Du hast wohl geglaubt, ich wüßte nicht, warum Victor jeden Sonntag zum Essen herkommt? Da kann ich nur lachen, Jenny. Erst läßt mein Bruder sich ein ganzes Jahr lang nicht blicken, obwohl er praktisch nebenan wohnte, und dann schreibst du ihm ein einziges nettes Briefchen, und schon steht er

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