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Haus der Erinnerungen

Haus der Erinnerungen

Titel: Haus der Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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wandte ich mich nach rechts, dem kleinen Spinett an der Wand zu.
    Auf dem Schemel vor dem Instrument saß elegant gekleidet in rostbraunem Gehrock und schwarzer Hose Victor Townsend. Das lange, lockige Haar war ihm über die Schulter nach vorn gefallen und verdeckte halb das ernste Gesicht, das tiefe Versunkenheit ausdrückte.
    Jennifer, die in einem langen Satinkleid am Feuer saß, war ihm zugewandt, und ihr Blick hing voller Liebe und Bewunderung an ihm.
    Ich glaube, mein Gesicht drückte ähnliche Gefühle aus, denn auch ich erlag augenblicklich dem Zauber von Victors Spiel. Die schlichte kleine Weise verwandelte sich unter seinen Fingern zu einem behexenden Lockruf. Ich blieb reglos an der Tür stehen, hin und her gerissen zwischen zwei Sehnsüchten; daß die Musik niemals aufhören möge und daß er im Spiel innehalten möge, um mit uns zu sprechen.
    Als er dann tatsächlich zu spielen aufhörte, blieb er lange Zeit schweigend sitzen, den Blick auf die Tasten gesenkt, als brauche er Zeit, um in die Gegenwart zurückzufinden. Mit den Klängen von ›Für Elise‹ hatte Victor seine Seele freigesetzt, und jetzt mußte er sie zurückholen und wieder in ihren Käfig sperren. Auch Jennifer sprach nicht, auch sie war noch in einer anderen Welt, aus der sie nicht zurückkehren wollte. Sie wünschte sich, dieser Moment würde ewig dauern.
    »Kannst du es noch einmal spielen?« fragte sie schließlich. Victor drehte sich auf dem Klavierschemel herum und legte die
    Hände auf die Knie. »Ich habe nicht viel Zeit. Die anderen werden bald nach Hause kommen.«
    »Sie würden sich freuen, dich spielen zu hören.« Victor schüttelte den Kopf. »Sie dürfen uns niemals allein hier vorfinden, Jenny, sonst werden sie glauben, was sie tief drinnen befürchten, und in unser Verhalten etwas hineinlesen, was niemals stattgefunden hat.« Sein Gesicht verdunkelte sich. »Und niemals stattfinden wird.«
    »Ach, komm doch bitte und setz dich zu mir.« Er stand auf, beeindruckend in seiner Größe und seinem markanten Aussehen, ging zu dem Sessel an Jennifers Seite und setzte sich. Das feine Leder seiner Stiefel glänzte im Feuerschein, als er die Beine ausstreckte.
    »Meine Mutter hat mir Indiskretion vorgeworfen«, sagte er. »Wie ironisch, da nicht einmal ein Händedruck zwischen uns getauscht wurde.«
    »Bitte, Victor, sei nicht bitter.«
    »Und warum nicht ? Jeden Sonntag hierherzukommen, im selben Raum mit dir zu sitzen und so zu tun, als dächte ich nicht, was ich denke! Du scheinst zufrieden, Jenny, bereit, dich mit dem zu begnügen, was uns gegönnt ist. Aber ich bin es nicht. Ich verfluche mein Schicksal.« Er lachte kurz und trocken. »Es hat uns wahrhaft übel mitgespielt. Hätte ich dir nur viel früher schon gesagt, daß ich nach Warrington zurückkehren werde, dann hättest du John nicht geheiratet und wärst jetzt meine Frau. Du könntest ein großes Haus führen und brauchtest dir keine Sorgen zu machen. Statt dessen bist du mit einem Mann verheiratet, der seine Tage auf der Rennbahn zubringt und seine Abende im Gasthaus.«
    »Bitte, Victor«, sagte sie leise.
    »Ich finde, John sollte sich seinen Schwächen endlich stellen und versuchen, sein Leben zu ordnen. Er ist ständig auf der Flucht vor seinen Gläubigern, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie ihm keinen Ausweg mehr lassen werden. Gestern lieh er sich Geld, um heute Cyril Passwater zu bezahlen, von dem er sich letzte Woche Geld geborgt hatte, um Alfred Grey zu bezahlen. Was glaubst du, wie lange er so weitermachen kann? Er will kein Geld von mir nehmen, obwohl ich weiß Gott genug habe.
    Lieber spielt er weiter dieses riskante Versteckspiel. Es ist an der Zeit, daß John seinen Verpflichtungen ins Auge sieht und sich auf anständige Weise mit seinen Gläubigern einigt.
    Und daß er endlich aufhört zu spielen.«

    »Das ist leicht gesagt, Victor, aber John sieht es nicht so. Jeden Tag glaubt er, daß er endlich den großen Gewinn einstreichen wird, mit dem er alle Schulden bezahlen und ein Haus für uns kaufen kann.«
    »Und jeden Tag gerät er tiefer in Schulden. Jennifer, man kann nicht ein Loch aufreißen, um ein anderes zu füllen. Wenn es nach mir ginge -«
    »Es geht aber nicht nach dir. John ist sein eigener Herr, und wenn er vielleicht auch sonst nicht viel vorweisen kann, so hat er doch seinen Stolz. Du darfst dich da nicht einmischen, Victor.«
    »Wenn er nicht mit dir verheiratet wäre, würde mich das alles überhaupt nicht kümmern. Aber er ist

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