Haus der Lügen - 8
fast, während er sich vorstellte, welche ›anderen kleinen Aufgaben‹ Zhevons wohl noch zu erledigen hatte. Ausdrücklich danach fragen wollte der König allerdings auch wieder nicht.
»Wenn ich Euch nur einen winzig kleinen Vorschlag machen dürfte«, fuhr Zhevons fort und hielt Gorjah zur Bekräftigung Daumen und Zeigefinger, vielleicht anderthalb Zoll voneinander entfernt, fast unter die Nase. »Ich an Eurer Stelle würde Nägel mit Köpfen machen und das nächste Schreiben unmittelbar an Cayleb und Sharleyan richten. Falls sie nicht jetzt schon in Tellesberg sind, werden sie es ganz gewiss sein, wenn Euer Schreiben eintrifft.«
»Ich verstehe«, wiederholte Gorjah erneut. Dann schüttelte er den Kopf. »Ich denke, ich werde Euren Ratschlag beherzigen, Seijin .«
»Gut! Wenn das so ist, Euer Majestät, ist es wohl für mich an der Zeit, wieder aufzubrechen.« Der Seijin durchquerte den Raum und trat an das offene Fenster des fünften Stockwerks. »Es war wirklich eine äußerst angenehme kleine Plauderei«, fuhr er fort, schob die Vorhänge auseinander, setzte sich auf die Fensterbank und schwang die Beine durch die Öffnung, »aber ich muss tatsächlich noch einige andere Kleinigkeiten erledigen. Schlaft wohl, Euer Majestät!«
Mit einer geschmeidigen Drehung sprang er von der Fensterbank, hielt sich noch kurz mit einer Hand daran fest und winkte Gorjah mit der anderen fröhlich zum Abschied zu. Dann ließ er los und verschwand.
Einen Moment lang starrte Gorjah nur fassungslos das nun wieder leere Fenster an. Dann sprang er aus dem Bett, stürzte zum Fenster hinüber und schaute nach unten.
So wenig er glauben konnte, was er gerade gesehen hatte, überraschte es Gorjah dennoch nicht, keinen zerschmetterten Leichnam eines Seijin im gepflasterten Hof zu sehen. Nicht, dass ihm das besser erklärte, wie dieser geheimnisvolle Besucher es geschafft hatte, unbemerkt in sein Schlafgemach einzudringen.
Na ja , dachte er, eines steht schon einmal fest: wenigstens weiß ich jetzt, dass diese ganzen wilden Geschichten, die man sich über Seijins erzählt, ganz und gar die Wahrheit sind!
.II.
Merlin Athrawes’ Aufklärer-Schwebeboot, über der Howell Bay, Altes Königreich Charis
»Das hat Euch entschieden zu viel Spaß gemacht, Merlin!«, schalt Sharleyan Ahrmahk ihn.
»Unfug!«, tat Merlin es unbekümmert ab. Bequem lehnte er sich im Andrucksessel des Aufklärer-Schwebeboots zurück und blickte auf den Inselkontinent Charis hinab, der sich als gewaltige dunkle Masse vor dem beinahe ebenso dunklen Wasser abzeichnete. Von seiner derzeitigen Position aus konnte Merlin sogar die Lichter von Tellesberg ausmachen. Eines dieser Lichter glomm zweifellos in Sharleyans Schlafgemach. »Ich habe mich lediglich bemüht, für eine angemessen ... ungezwungene Atmosphäre zu sorgen.«
»Ungezwungene Atmosphäre, ja?«, schnaubte Cayleb über sein eigenes Kom. »Wie war das doch gleich: ›Hättet Ihr wohl die Freundlichkeit zu berücksichtigen, dass ich Euch töten könnte, bevor jemand anderes dieses Gemach betreten kann‹ – oder so ähnlich. Das habt Ihr gesagt!«
»Ja, nett formuliert, findet Ihr nicht?«, gab Merlin in äußerst selbstzufriedenem Ton zurück. »Damit dürfte ich recht wirksam seine Aufmerksamkeit erregt haben.«
»Aber, Merlin, Diplomatie soll doch keinen Spaß machen!«, meldete sich nun Nahrmahn zu Wort.
»Natürlich nicht, Euer Hoheit. Und jetzt seid ehrlich: Hättet Ihr nicht gern genau das Gleiche getan? Aber verzieht ja nicht das Gesicht dabei!«
» Natürlich hätte ich das gern gemacht! Deswegen ist es ja auch so entsetzlich unhöflich von Euch, etwas einfach zu tun, von dem Ihr ganz genau wisst, dass niemand sonst es tun kann! «
»Nettes Geplänkel, die Dame, die Herren«, war nun Maikel Staynair zu hören. »Aber darf ich darauf hinweisen, dass hier an Bord in ungefähr zwei Stunden die Sonne aufgeht, Merlin? Werdet Ihr rechtzeitig wieder an Bord sein? Und habt Ihr dann auch schon wieder alle ... Verzierungen fertig, bevor jemand Eure Abwesenheit bemerkt?«
»An Bord werde ich sein, Eure Eminenz«, erwiderte Merlin und fuhr sich mit der Hand über den stetig nachgewachsenen Bart. »Aber was die ›Verzierungen‹ angeht, bin ich mir nicht ganz sicher. Vielleicht werdet Ihr mir noch etwa eine Stunde lang Rückendeckung geben müssen.«
»Wisst Ihr«, sagte Staynair in sehr nachdenklichem Ton, »bevor ich Euch kennen gelernt habe, war ich nur sehr selten genötigt, zu Ausflüchten zu
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