Haus der Lügen - 8
dass nämlich ein weiteres Opfer auf Clyntahns Liste landet, dieses Mal ein Opfer, das selbst der ›Vierer-Gruppe‹ angehört.«
»So ungern ich das sage, Nahrmahn«, warf Cayleb mit rauer Stimme ein, »aber aus deren Blickwinkel ist das gar keine solche Torheit. Ihr Flottenprogramm steht kurz vor dem Abschluss. Sie könnten also schon bald den Gegenangriff starten. Gleichzeitig haben Ruf und Einfluss der ›Vierer-Gruppe‹ angesichts all der Rückschläge aus jüngster Zeit ernstlich Schaden genommen. Ganz zu schweigen davon, dass der ganze Rest des Vikariats genau weiß, warum es überhaupt zu diesem Krieg gekommen ist: weil die ›Vierer-Gruppe‹ Scheiße gebaut hat! Ich weiß ja nicht, wie Duchairn darüber denkt, aber Clyntahn sieht im Schlag gegen den ›Kreis‹ ganz gewiss eine Gelegenheit, das Vikariat wieder fest in den Griff zu bekommen. Bei Trynair und Maigwair wird es vermutlich nicht anders sein. Sie werden hausinterne Gegner zum Schweigen bringen – vor allem jene, die im Falle eines Sieges zur Mäßigung geraten hätten –, bevor sie uns ihre neue Flotte auf den Hals hetzen. Wenn sie dann siegen, gehen sie dann mit aller Grausamkeit gegen unser gesamtes Volk vor. Sie glauben, auf diese Weise so viel Entsetzen zu säen, so viel Furcht, dass niemand je wieder wagen wird, sich deren Interpretation von Gottes Willen entgegenzustellen – und auch nicht ihrer persönlichen Macht.«
Der Blick aus braunen Augen verriet, wie entsetzt der junge Kaiser darüber war, zu welcher Abscheulichkeit sich die Kirche des Verheißenen auswachsen würde, sollte die ›Vierer-Gruppe‹ den Krieg gegen Charis gewinnen.
»Langfristig besiegelt das den Untergang der ›Vierer-Gruppe‹, ja, und wahrscheinlich werden sie sogar ihre ganze Kirche mit in den Abgrund reißen«, fuhr er fort, sein Tonfall bitter und eisig. »Gräuel, verübt an so vielen Männer und Frauen – und Kindern! In der Hölle brennen sollen ihre schwarzen Herzen! Und jedes einzelne dieser Opfer ist dem gesamten Rest des Vikariats bestens bekannt. Wir reden hier von Vettern, Tanten und Onkeln der Vikariatsangehörigen.« Cayleb schüttelte den Kopf, und seine Miene verriet die grimmige Gewissheit eines Propheten. »Selbst die, die im Augenblick am stärksten eingeschüchtert sind, werden das nicht vergessen! Sie besitzen vielleicht nicht jetzt den Mut und die Zivilcourage, sich gegen die ›Vierer-Gruppe‹ zu erheben. Aber letztendlich wird ihnen wieder einfallen, dass sogar Aasechsen einen Großen Drachen zu besiegen vermögen ... wenn sie nur zahlreich genug sind und der Drache hinreichend abgelenkt ist.
Also habt Ihr ganz Recht, Nahrmahn. Letztendlich wäre es äußerst töricht von der ›Vierer-Gruppe‹, in dieser Art und Weise vorzugehen. Langfristig betrachtet. Aber die ›Vierer-Gruppe‹ denkt nicht langfristig. Sie denkt an das Hier und Jetzt, bestenfalls noch an den nächsten Monat oder das nächste Jahr. Weiter reicht ihre Vision für die Zukunft nicht. Daher sage ich Euch, so wahr ich hier stehe: die werden das Grauenhafte tun! Gott helfe uns allen«, nun flüsterte Cayleb nur noch, »sie werden es wirklich tun!«
.VI.
Rhobair Duchairns Privatkapelle, der Tempel, Stadt Zion, die Tempel-Lande
Rhobair Duchairn kniete vor dem winzigen Altar, die Hände um ein einfaches Holzzepter geschlungen, den Blick fest auf eine Ikone Langhornes gerichtet: Auch der oberste Heilige von Safehold hielt ein Zepter in der Hand, allerdings eines aus purem Gold, und so bildete der kniende Vikar ein schlichtes, sterbliches Abbild Langhornes. Duchairn spürte, wie ihm die Tränen über die Wangen liefen.
Hilf mir! , betete er. Heiliger Langhorne – Gott! Helft mir! Ich kann das nicht zulassen. Ich kann es nicht, nicht noch zusätzlich zu allem anderen! Das kann unmöglich das sein, was Du in Deinem Namen getan wissen willst. Sag mir, wie ich es aufhalten kann! Zeig mir Mittel und Wege!
Doch die Ikone schwieg. Sie gab ihm keine Antwort, und so sehr Duchairn auch in tiefster Seele lauschte, er hörte kein Flüstern von Gottes Stimme in seinem Herzen.
Duchairn schloss die Augen, das Gesicht vor Seelenqual verzerrt. Er umklammerte das Zepter so fest, dass er schon damit rechnete, der geschnitzte Stab in seiner Hand werde zerbrechen. Duchairn hatte geglaubt zu wissen, was Clyntahn beabsichtigte. Er war entsetzt gewesen. Verzweifelt hatte er einen Ausweg gesucht, wollte aufhalten, retten – er hatte sogar das eine oder andere Opfer gewarnt. Doch sein
Weitere Kostenlose Bücher