Haus der Lügen - 8
entwickelt, um sich eine ernstliche Meinungsverschiedenheit mit Harchong leisten zu können. Zugegeben: Es war unwahrscheinlich, dass Harchong sich die Mühe machen würde, jede Aufsässigkeit Dohlars sofort zu unterbinden (gewiss spielten dabei auch die Kosten für einen solchen Einsatz eine Rolle). Nur hieß ›unwahrscheinlich‹ nun einmal nicht ›unmöglich‹. Und Harchong zu einem Militärschlag zu provozieren war genau die Sorte Fehler, den man normalerweise nur ein einziges Mal machte.
Zumindest eines aber war Rahnyld gelungen: Er hatte Harchong das Zugeständnis abgerungen, dass die Dohlar-Bank und die kleinen Inseln in den Untiefen rings um die deutlich westlicher gelegene Wal-Insel von keinem der beiden Reiche beansprucht würden. Diese Angelegenheit war Waisu egal gewesen – oder vielmehr: seinen Ministern (es war durchaus möglich, dass Waisu persönlich während seiner bislang zwölf Jahre währenden Regentschaft noch keine einzige Entscheidung selbst gefällt hatte). Zu dem Streitgespräch darüber war kein einziger Vertreter Harchongs erschienen. Harchong wollte lediglich sichergestellt wissen, dass Dohlar die Häfen besagter Inseln nicht zu Festungen ausbaute und Rahnylds expansionistische Gelüste im Zaum gehalten blieben. Nun ja, natürlich sollte auch dafür gesorgt sein, dass der äußerst lukrative Handel mit Schmuggelware, der stets über besagte Inseln abgewickelt wurde (und Harchong beträchtliche Summen einbrachte), unbehindert fortgesetzt wurde.
Dass dieser Zustand tatsächlich unverändert geblieben war, hatte Manthyr mit freudiger Überraschung aufgenommen. Er hatte damit gerechnet, Dohlar und Harchong wären der Inseln wegen zu einer Übereinkunft gekommen, nachdem die ›Vierer-Gruppe‹ beide Reiche unter Androhung von Gewalt praktisch in eine Zwangsehe gepresst hatte. Aus dem Blickwinkel der Charisianer war es nachgerade Wahnsinn, so nett praktische Inseln, so wunderbar leicht einzunehmen, ungeschützt zu lassen – und das auch noch weniger als fünfhundert Meilen vor der Küste von Dohlar. Bis zur Harchong-Provinz Erech war der Weg sogar noch kürzer. Kaiser Cayleb hätte sich eine strategische Blöße dieser Art ebenso wenig erlaubt, wie er auf die Idee gekommen wäre, ein Bad in einem Becken voller Kraken zu nehmen – am besten noch mit einem frischen, blutigen Steak auf dem Rücken. Dass Dohlar und Harchong nicht den Hauch einer Ahnung von Flottenstrategie hatten, war Allgemeingut. Ansonsten wäre dies – strategisch derart wichtige Inseln ungeschützt zu lassen – ein echtes Paradebeispiel dafür gewesen.
So unglaublich Manthyr dies fand, während er zuschaute, wie ein Boot der Marines nach dem anderen anlandete, so glücklich war er darüber. Die Chelm Bay, an der Nordostküste der Fundinsel, war zu klein, um seiner gesamten Streitmacht Unterschlupf zu bieten. Sie war kaum acht Meilen breit und dem Nordwind schutzlos preisgegeben. Doch das Wasser dort war recht tief; der Grund hielt Anker gut fest, und dank ihrer Steilküste war die Bucht gut vor dem Wind aus allen anderen Richtungen geschützt. Als Not-Ankerplatz – für den Fall, das kleinere Reparaturen durchgeführt oder Proviant aufgenommen werden müssten – war sie wirklich ausgezeichnet geeignet. Zudem hatte die Insel keinen anderen vernünftigen Ankerplatz mit hinreichend tiefem Wasser. Daher würde es schwierig, die Insel zurückzuerobern, sobald sich Major Brainahk Wyndayls Bataillon von Colonel Vahsag Pahraiahs Vierzehntem Marines-Regiment erst einmal dort verschanzt hätte. Angesichts der Batterie Dreißigpfünder, die man umsichtigerweise aufgestellt hatte, würde König Rahnyld und Kaiser Waisu ein solcher Versuch richtig sauer aufstoßen.
Ebenso froh war Manthyr darüber, dass Chelmsport, die größte Siedlung auf der Insel, weniger als zweihundert Einwohner hatte. Das verringerte die Wahrscheinlichkeit, dass jemand sich zu Dummheiten den neuen Bewohnern der Insel gegenüber hinreißen ließe. Gänzlich ausschließen durfte man diese Möglichkeit natürlich nicht – vor allem der religiösen Aspekte dieses Krieges wegen. Die Vorteile überwogen in jedem Fall die Nachteile: So gab es in Chelmsport zum Beispiel reichlich Süßwasser, und Wasserknappheit war ein Risikofaktor während jedes Kriegszugs. Angenommen, die Einheimischen würden sich einsichtig zeigen, dann mochte man in der Siedlung auch Nahrung beschaffen können – ein möglicher Vorteil, der alles andere als zu verachten war!
Denn:
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