Haus der Lügen - 8
«, forderte ihn Anvil Rock zum Weitersprechen auf, »Ihr habt unsere ungeteilte Aufmerksamkeit.«
»Ich danke Ihnen«, wiederholte Merlin und lächelte dann milde. »Meine Lords«, setzte er an, »mittlerweile weiß gewiss die ganze Welt, dass Seine Majestät der Kaiser einen persönlichen Leibwächter hat, der zugleich ein Seijin ist. Wie Sie allerdings vielleicht ebenfalls gehört haben, habe ich selbst niemals für mich in Anspruch genommen, ein Seijin zu sein . Soweit ich weiß, gibt es keine wahrhaften Seijins , zumindest nicht so, wie sie in den alten Fabeln und Märchen geschildert werden.«
Merlin brachte dieses Geständnis mit ruhiger Stimme vor, und seine Zuhörer wurden sichtlich unruhig. Anvil Rock beugte sich vor, einen Ellenbogen auf die Armlehne seines Sessels gestützt. Tartarian runzelte nachdenklich die Stirn.
»Wenn Sie sich beispielsweise noch einmal die Geschichten anschauen, die über Seijin Kohdy existieren«, fuhr Merlin fort, »werden Sie feststellen, dass ihm allerlei magische, geheimnisvolle Taten zugeschrieben werden, vom Lesen der Gedanken anderer über Levitation bis zu der Fähigkeit, mit großen Echsen zu sprechen. Und wir wollen auch nicht sein Zauberschwert vergessen und seine Fähigkeit, durch Wände zu gehen.« Nun wurde aus Merlins Lächeln beinahe schon ein schiefes Grinsen. »Glauben Sie mir, Meine Lords, ich habe mir schon so manches Mal gewünscht, ich könnte durch Wände gehen. Bedauerlicherweise steht das nicht in meiner Macht.
Das bedeutet aber nicht, dass diese Märchen nicht einen Funken Wahrheit bergen.« Das Lächeln verschwand. »Und auch wenn ich niemals für mich in Anspruch genommen habe, ein Seijin zu sein, muss ich doch gestehen, über gewisse Fähigkeiten zu verfügen, die gemeinhin den Seijins zugeschrieben werden. Daher erscheint diese Bezeichnung zumindest in gewissem Maße angemessen. Das gestattet dem Volk, mich gewissermaßen in eine ... Schublade zu stecken.«
Kurz hielt er inne und blickte seine Zuhörer an. Dann zuckte er mit den Schultern.
»Ich spreche das nur an, Meine Lords, weil ich vielleicht gar nicht so einzigartig bin, wie Sie vermutet haben dürften. Oder anders gesagt: Es ist durchaus möglich, dass es auf dieser Welt deutlich mehr Seijins gibt, als Sie annehmen.«
Alle Zuhörer erstarrten. Rasch blickten sie einander an, dann beugten sie sich fast gleichzeitig zu Merlin hinüber. Nun war das Lächeln auf seinem Gesicht wieder da, vielleicht noch ein wenig schiefer als zuvor.
»Als ich zunächst König Haarahld meine Dienste anbot und dann später Kaiser Cayleb, geschah dies nicht aus einer Laune heraus, Meine Lords«, erklärte er unumwunden. »Ich will nicht behaupten, ich hätte alles vorhergesehen, was sich seitdem ereignet hat. Aber ich habe sehr wohl bemerkt, aus welcher Richtung der Wind schon bald wehen würde, und ich wusste auch, wo ich selbst zu stehen hatte. Doch als ich Charis mein Schwert angeboten habe, da war das nicht alles, was ich nach Tellesberg mitgebracht habe, und ich bin auch nicht allein dorthin gereist. Wenn es angemessen ist, mich überhaupt als Seijin zu bezeichnen, allein wegen der Fähigkeiten, die ich habe, dann bin ich nicht der einzige Seijin auf ganz Safehold.«
»Nicht?«, fragte Anvil Rock sehr leise nach, als Merlin ein weiteres Mal innehielt.
»Oh nein, Mein Lord.« Merlin schüttelte den Kopf. »Gewiss besagen selbst die Sagen und Märchen, dass nicht alle Seijins immer Krieger sein müssen. Sie mögen auch als Ratgeber tätig sein, als Lehrer, Mentoren, sogar als Spione.«
»Ja, so wird das geschildert«, gestand Doyal nachdenklich ein, und Merlin lächelte ihm freundlich zu.
»Ganz genau, Sir Charlz. Und zufälligerweise halten sich sogar eine ganze Menge Seijins derzeit hier in Corisande auf.«
»Wirklich?« Ruckartig setzte sich Anvil Rock in seinem Sessel auf, und Merlin nickte.
»Ja, Mein Lord. Und Sir Koryn hat dafür sogar schon Hinweise gefunden.«
»Ach ja? Habe ich das?« Konzentriert blickte Gahrvai über den Tisch hinweg Merlin an.
»Gewiss sogar.« Nun war das sanfte Lächeln des Seijin ganz eindeutig zu einem Grinsen geworden. »In Form eines Steins, der durch das Fenster Ihres Arbeitszimmers geworfen wurde.«
»Der kam von einem Seijin? « Gahrvai hob die Augenbrauen, und Merlin lachte leise in sich hinein.
»Wenn ich ein Seijin bin, dann war das zweifellos ebenfalls ein Seijin , General. Dieses ganze Fürstentum wird ständig beobachtet, Meine Lords – schon vor der
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