Haus der roten Dämonen
vorne und schien sie mit seinem Blick festhalten zu wollen. Seine eigenartig verwischten, schillernden Augen irritierten Julia. Den wie leblosen Körper des Malers hielt er eng an den Bauch gedrückt. Auch Contrario, der ihrer Aktion zugesehen hatte, begann zu grinsen.
»Und was jetzt?«, fragte er beiläufig.
In Julias Kopf war es leer. Ihr einziger Plan, mit dem sie hatte aufwarten können, war verpufft. Der Kopf des Leu, der ihr am nächsten lag, öffnete sein Maul und ein übler Geruch nach verwesendem Fleisch und Blut wehte sie an. Julia hatte zwar keine Vorstellung davon, was sie jetzt mache sollte, doch sah sie sehr deutlich, wie sich der Adlatus ohne Furcht vor dem Leu hin und her bewegte, als wüsste er, dass das Tier ihm nichts tun würde. Ja, das Wesen schien ihn nicht einmal zu bemerken.
Der Leu selbst wäre gern auf sie losgesprungen, durfte jedoch
Messer Arcimboldo nicht loslassen. Auf drei Beinen ließ es sich nur humpeln. Als Contrario das Dilemma des Leu erkannt hatte, ging er selbst einen Schritt vor, betrat damit die Staubschicht – und plötzlich erfüllte ein Sirren und Sausen den Raum. Die Staubpartikel wurden hochgeblasen, wirbelten durcheinander und formten eine Gestalt, die deutlicher wurde, je länger der Wirbelwind durch den Raum tobte. Dann gab es einen Knall – und mitten im Raum stand ein Mann, der so ungewöhnlich aussah, als wäre er gerade der Raritätenkammer des Kaisers entsprungen.
»Meister Gremlin!«, schrie der Kaiser mit fisteliger Stimme. »Helft uns, Alchemist!«
Der schien ein wenig verwirrt zu sein. Zumindest ebenso verwirrt wie der dreiköpfige Leu und Contrario.
»Was?«, schrie dieser nur und deutete auf den Alchemisten. Es hätte auch »Fass!« heißen können, so genau hatte es Julia nicht verstanden. Es beschäftigte sie die Frage, wer um alles in der Welt dieser Meister Gremlin war und wie er hierherkam!
Der Leu schien erst einmal wie gelähmt zu sein. Seine Köpfe drehten sich gleichzeitig dem Alchemisten zu und die drei schillernden Augenpaare pendelten zwischen Julia und dem Alchemisten hin und her.
»Ach«, sagte da der Alchemist und fixierte nun seinerseits den Leu. »Lange nicht mehr gesehen, gleich wiedererkannt.«
Julia glaubte, das Gesicht des Alten zerfalle in unzählige Splitter, so sehr verzog es sich zu Falten, nachdem er den Leu gesehen hatte. Langsam hob Meister Gremlin die Hand. »Du hast etwas zwischen deiner Pranke, das ich gerne zurückhaben will, mein Freund«, sagte der Alchemist ruhig.
Bei diesen Worten schoss aus der Hand Meister Gremlins eine grünliche Kugel und jagte gegen eine der Kehlen des Leu. Contrario sprang zwischen den Alchemisten und das Untier und riss ebenfalls die Arme nach oben, als wollte er das Tier verscheuchen, und einer der Türflügel krachte gegen die Wand. Der Leu wich der Kugel aus, die zu langsam und unpräzise geschleudert war, gegen die Decke knallte und mit einem Funkenregen zerbarst. Dabei heulte und pfiff es wie beim besten Feuerwerk.
»Lass ihn frei!«, schrie Contrario in Richtung des Leu, und gleichzeitig eilten zwei Soldaten an Julia vorbei, die Hellebarden vor sich gestreckt.
Der Leu brüllte derart, dass die Bodendielen zu klappern begannen; der Alchemist ließ eine weitere Kugel sausen; die beiden Soldaten wurden von der Pranke des Ungeheuers erfasst und gegen die Wand geschleudert und blieben liegen, während die Hellebarden wie Kreisel durch die Luft wirbelten, Julia um den Kopf flogen und sie nur um Haaresbreite verfehlten; der Kaiser fluchte und brüllte Befehle. Auch Julia hörte sich schreien – bis sich das riesige Untier umdrehte und zum Fenster humpelte, den Maler immer noch an sich gedrückt, ein Brüllen in den Saal schickte und gleichzeitig mit einem Satz durch eines der zerborstenen Fenster sprang und verschwand. »Gottverdammt!«, schrie der Alchemist.
Erst langsam begriff Julia, was geschehen war: Der Leu hatte Messer Arcimboldo entführt.
Alle standen sie stumm da: Contrario, noch immer mit erhobenen Armen, der Kaiser und sein Haushofmeister, Julia selbst. Die Wachen lagen stöhnend auf der Erde. Nur der Alchemist war, als ginge ihn das alles nichts an, ans Fenster getreten und sah dem Untier nach. Jetzt drehte er sich um, fixierte die versammelte Mannschaft kurz, steuerte auf Julia zu und nahm sie am Arm.
»Majestät, ich habe zu tun!«, sagte er nur und bugsierte Julia durch die offene Tür, bevor irgendjemand Einspruch erheben konnte. Julia folgte willenlos. Falls
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