Haus der roten Dämonen
kannst sie nicht töten. Du kannst sie verstümmeln, sie verletzen, sie für kurze Zeit außer Gefecht setzen, aber töten kannst du sie nicht.«
»Jetzt bin ich an der Reihe«, mümmelte der Uralte. »Mal sehen, was ich in der Trickkiste habe.«
Die Kreaturen vor ihnen scharrten mit den Hufen oder verhielten sich völlig still. Sie verfolgten mit ihren schillernden Augen jede Bewegung, griffen jedoch nicht an. Vielleicht hatten sie eben zugesehen, als Jan den Panther und die Riesenwespe abgeschmettert hatte.
Meister Gremlin langte in eine der vielen Manteltaschen und holte daraus ein Pulver hervor, mit dem er auf dem Pflaster eine Art Kreis streute und das er zuletzt in die Luft warf. Dort verweilte es eine ganze Zeit, bevor es zu Boden sank. Dazu sprach er eine Formel. Doch nichts veränderte sich. Alles blieb, wie es war. Der Staub des Mittels verzog sich und die Augen der Kreaturen beobachteten sie weiter.
»Es hat wohl nicht funktioniert?«, bemerkte Jan spöttisch, erhielt jedoch von Meister Gremlin keine Antwort.
»Bleibt einfach stehen!«, befahl der Uralte. Dann richtete er sich zu seiner ganzen Größe auf und trat einen kleinen Schritt nach vorne und ruderte mit den Armen, streckte den Geschöpfen die Zunge heraus und führte sich auf, als wäre er nicht ganz bei Trost.
»Seid Ihr nicht ganz gescheit?«, rief Jan. »Ihr reizt die Wesen ja bis aufs Blut!«
»Genau das habe ich vor!«, sagte der Alchemist und begann, einen wahren Tanz aufzuführen. Jan sah, wie er sich dabei bemühte, nicht in den Kreis zu treten, den er gestreut hatte. Sollte er womöglich doch eine Wirkung haben? Jan glaubte nicht recht daran.
Endlich verlor eines der Wesen die Geduld. Es knurrte kurz, holte Schwung und sprang. Eine Armbewegung des Alchemisten genügte, und die Kreatur, eine Art Löwenbiber, war verschwunden. Die übrigen Wesen kreischten vor Wut und Zorn. Eines, eine Art Auerochse mit überdimensionalem Schwanz, senkte den Kopf, stürmte los – und löste sich in Luft auf.
Jan sah den Alchemisten verblüfft an, dann kam ihm die Idee. »Zeitblase?«, fragte er.
Der Alchemist nickte. »Für gut zehn Minuten. Allerdings weiß ich nicht, wie sie reagiert, wenn vier so gewaltige Viecher hineinstürmen.«
»Noch sind nicht alle drinnen!«, hörten sie Jakub hinter sich sagen. »Sie brauchen offenbar einen kräftigeren Köder.« Er trat vor, ebenfalls außer Reichweite des Pulvers, und fuchtelte mit den Händen in der Luft herum. »Na, ihr blöden Viecher. Zu dumm, uns zu fangen?«
Jan wusste nicht, inwieweit die Kreaturen sie tatsächlich verstehen konnten. Doch Jakubs Provokationen zeigten Erfolg. Die beiden letzten Tiere stießen schnaubend Luft aus ihren Nüstern und ließen ein schrilles Pfeifen hören. Voller blinder Wut sprangen sie auf die Gruppe zu oder glitten durch die Luft – und verschwanden in der Zeitblase. Stille herrschte auf dem Platz.
»Jetzt aber los!«, befahl Jan. Sie umrundeten die Strecke, über die der Alchemist sein Pulver ausgestreut hatte, bogen zum Rathaus hin ab und stürmten weiter.
Zwischen ihnen und der Uhr befanden sich keine Gegner
mehr. Nur zwei Tagfledermäuse kreisten über ihren Köpfen, doch Jan zwang sich, diese zu ignorieren.
Bereits vor knapp einer Woche war ihm an der Uhr eine Unstimmigkeit aufgefallen, ohne dass er sie hätte benennen können. Jetzt da er nach dem Schlüssel griff, der sie ins Innere führen sollte, wurde ihm bewusst, was anders war. Unterhalb der Uhr hatte sich immer eine Tür befunden. Er vermutete, dass sie den Zugang zur astronomischen Uhr darstellte. Diese Tür fehlte. Sie war weg, als hätte es sie nie gegeben, und an deren Stelle war fleckiges, alterndes Mauerwerk getreten.
Deshalb konnte keiner der Ratsherren mehr einen Zugang finden, dachte er.
Jan holte den Schlüssel aus seinem Wams und betrachtete ihn kurz. Kein Mensch hätte vermutet, dass dieses Stück gebogenes Metall den Weg in andere Dimensionen öffnete. Ihm war unwohl bei dem Gedanken, dass er genau wissen musste, was er damit anfangen sollte. Das konnte sich doch von einem Augenblick auf den anderen ändern. Eben hätte er noch gern Spinat gegessen und im nächsten Moment konnte man ihn damit jagen. Was, wenn er in dem Moment, in dem er den Schlüssel ins Mauerwerk rammte, gerade dabei war, seinen Wunsch zu ändern? Und dienten alle seine Wünsche auch wirklich einem guten Zweck? Jans Hand zitterte, als er den Schlüssel vorstreckte – und plötzlich erhielt er einen Schlag auf
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