Haus der roten Dämonen
Arcimboldo können wir auch nicht. Dieser Contrario-Buntfinger hat den Leu von dort auf mich gehetzt. Wo also sollen wir hin?«
Jan musste vor Anstrengung husten. Er schmeckte Blut im Mund. Die Schulter tat jetzt derart weh, dass er das Gefühl hatte, sie gehöre nicht mehr ihm. Sein Arm ließ sich kaum bewegen. Dennoch liefen sie los.
Der Weg zur Brücke war im untersten Teil bebaut und verengte sich zu einer schmalen Gasse. Die Torflügel standen offen, was ungewöhnlich war für die Uhrzeit. Vor dem Torturm der Karlsbrücke hielt Julia, nah an eine Hauswand gedrückt, an. »Das ist die einzige Schwachstelle meines Plans«, sagte sie. »Wir müssen über die Brücke.«
Jan nickte und so liefen sie los. Die Brücke stieg leicht an, sodass sie das andere Ende zuerst nicht sehen konnten.
Sie waren noch keine dreißig Fuß auf die Brücke hinausgelaufen, als Jan plötzlich stehen blieb. Mit ausgestrecktem Arm deutete er auf den Übergang. Mitten auf der Brücke wartete der Leu. Er saß auf den Hinterbeinen. Hoch aufgerichtet starrte einer seiner Köpfe in die Richtung, aus der sie kommen mussten, während die beiden anderen den Himmel beobachteten.
»Das Tier ist intelligent. Woher wusste es, dass wir diesen Weg nehmen würden?« Julia stampfte missmutig mit dem Fuß auf.
Jan wusste nicht, ob er etwas zur Entstehung dieses Wesens sagen sollte, entschied sich jedoch dagegen.
»Es ist ein Jäger«, bemerkte er nur.
Stumm deutete Julia zur Mitte der Brücke. Dort lag ein Körper, der in der mondhellen Dunkelheit schimmerte, als wäre er aus Elfenbein geschnitzt. »Ein Moldau-Fischer«, flüsterte sie. »Warum ist er … so weiß?«
Jan ahnte es. Das Tier war mit einem Firnis aus dem Blut
Sterbender belebt worden. Womöglich benötigte es, um leben zu können …
»Blutleer gesaugt«, entfuhr es ihm. »Nicht ein Tropfen mehr in den Adern.«
Julia suchte seine Hand und hielt sie fest. Jan verstand die Geste. Sie suchte Halt, und er bot ihr Halt, sogar wenn er sich selbst kaum aufrecht halten konnte.
So standen sie eine ganze Zeit stumm nebeneinander. Jeder dachte an die unzähligen Menschen, die der Dreiköpfige an diesem Abend vermutlich getötet hatte. Jan bedauerte, dass er statt an dieses Mädchen neben ihm ständig an den Leu und an seine schmerzende Schulter denken musste.
»Wir kommen an ihm nicht vorbei!«, sagte er schließlich resignierend. »Lass uns auf der Kampa-Insel unterhalb der Brücke übernachten.«
Angesichts der Bedrohung erschien es Julia ebenfalls sicherer, für den Rest der Nacht dort unterzukommen. Unweit ihres Standorts lief eine steile Treppe hinab in das Fischerviertel auf der Kampa-Insel. Sie verließen die Brücke so geräuschlos, wie es ihnen möglich war. Die Gebäude, die sich an die Brücke lehnten, als würden sie sich an deren Rockzipfel hängen, bestanden im Untergeschoss aus Stein, darüber waren sie aus Holz ausgeführt, das dunkel schimmerte. Jan kannte eine Stelle, die ihnen gestattete, einen ummauerten Innenhof zu betreten.
»Nur noch dort hinauf und dann können wir unter dem Dach bleiben. Es ist trocken auf dem Boden und einigermaßen sicher!«, flüsterte er. Er hatte sich hier schon einmal verborgen, nachdem sie seine Mutter auf dem Scheiterhaufen verbrannt hatten. Mindestens eine Woche hatte er unter dem Dach dort gehaust, das zu einem Fischerhaus gehörte. Wer den Aufstieg zum Dachboden an der Mauer nicht kannte, würde sie unmöglich finden.
Erschöpft und zerschlagen richteten sie sich auf zwei Brettern ein, die Jan damals über die Balken der Deckenkonstruktion gelegt hatte. Er lehnte sich gegen einen Balken und Julia ließ sich neben ihm nieder.
Julia zitterte am ganzen Leib, und auch Jan selbst versuchte, seine Angst zu bekämpfen, so gut es ging. Julia begann, seine Schulter abzutasten. Sie bemühte sich, so vorsichtig und sanft zu sein, wie es ihr möglich war. Es tat dennoch höllisch weh.
»Ich kann nichts sehen, es ist zu dunkel«, wisperte sie. Ihre Stimme war ein vertrauliches Flüstern und Jan lief bei ihren Worten ein warmer Schauer über den Rücken.
»Dann müssen wir warten, bis es hell genug ist.« Es graute ihn davor, die ganze Nacht hier verbringen zu müssen. Er nahm es jedoch gern in Kauf. Am Moldauufer war es feucht und eine bissige Kälte kroch übers Wasser.
»Es ist ein Wunder!«, sagte Julia plötzlich ganz leise und rückte näher an Jan heran.
»Was ist ein Wunder?« Julia antwortete nichts auf seine Frage, doch Jan wusste
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