Haus der Sonne
Scott heran, nickte in Richtung der Unterhändler und fragte leise: »Wie sind denn hier so die Schatten?«
Er nahm einen Schluck Bier, um einen Augenblick Zeit zum nachdenken zu haben. »Ziemlich düster, Bruder«, sagte er schließlich. »Wenn die Sonne strahlt, können die Schatten verdammt düster sein.«
»Große Schattengemeinde?«
Er zuckte die Achseln. »Das hängt wohl davon ab, was Sie unter ›groß‹ verstehen. Es fällt einiges an Geschäften an, jedenfalls höre ich das.« Er grinste schief. »So, wie ich das sehe, liegt das daran, daß hier so viele Megakonzerne präsent sind.
Aber der harte Kern, die Profis?« Er zuckte wiederum die Achseln. »Wahrscheinlich gibt es davon nicht allzu viele. Wahrscheinlich weniger als da, wo Sie herkommen. Und auch weniger Möchtegerns.«
»Wie kommt das?«
Das Grinsen des Orks wirkte einen Moment lang raubtierhaft. »Das liegt in der Natur der Inseln, Hoa. Wir haben hier eine ziemlich kleine Gemeinde. Wenn man was verpfuscht, hat man keinen Platz, um wegzulaufen, und noch weniger, um sich zu verstecken. Nach allem, was ich gehört habe, ist man entweder gut... oder tot.«
Ich nickte zögernd. Das klang auf bestürzende Weise logisch. Als eine Art geistige Übung ging ich ein paar Notpläne zur Flucht von den Inseln durch, falls irgend etwas völlig danebenging... und erkannte rasch, wie wenig Möglichkeiten es eigentlich gab. Unangenehm. Ich habe immer gern etwas Bewegungsspielraum. »Wie groß ist denn der Umfang der Geschäfte eigentlich, die hier abgewickelt werden?« fragte ich nach einer Weile.
Scott hob die Augenbrauen. »Hey, Sie fragen den falschen Wikanikanaka, Bruder«, protestierte er gelinde. »Ich bin hier nur ein Chauffeur.«
Meine Miene verriet, was ich von dieser Bemerkung hielt. »Jetzt aber mal im Ernst, Chummer«, sagte ich. »Sie sind nicht unbeteiligt. Jemand wie Sie kann es sich gar nicht leisten, unbeteiligt zu sein. Richtig?«
Ich beobachtete seine Augen, während er sich überlegte, ob er zu seinem Bluff stehen sollte, aber schließlich entschied er sich dagegen. Er lächelte ein wenig verlegen. »Ja, okay, ich habe mein Ohr an der Wand. Ich höre Sachen.« Er hielt inne. »Hier und in anderen Läden wie diesem geht einiges an Geschäften ab. Aber die Schatten sind hier anders als sonstwo - zumindest habe ich das gehört. Auf dem Festland ist man im Geschäft, wenn man eine Ruhmesliste vorzuweisen hat. Wenn sich ein Schieber an jemanden wendet, geschieht das auf der Grundlage der Reputation, die der betreffende auf der Straße hat, ob er ihn kennt oder nicht. Richtig?«
»Manchmal«, räumte ich ein.
»So läuft das hier nicht, Hoa«, sagte er bestimmt. »Jedenfalls nicht nach allem, was ich gehört habe... und vergessen Sie nicht, daß ich das alles nur aus zweiter Hand weiß. Ich bin Fahrer, kein Shadowrunner, okay?« Er hielt inne, um seine Gedanken zu ordnen. »Ich habe gehört, daß hier auf den Inseln persönliche Beziehungen wichtiger sind als Ruhmeslisten und sogar wichtiger als Straßenreputation. Die Leute geben sich nur mit Leuten ab, die sie persönlich kennen, Leuten, von denen sie wissen, daß sie ihnen trauen können. Wenn irgendein Malihini - ein Neuankömmling - mit einer Ruhmesliste so lang wie mein Bein auf die Inseln kommt - ›ich habe Fuchi-Ice geschmolzen, ich habe eine Division Azzies umgelegt, ich habe Dunkelzahn reinge-leg‹ -, wird ihn niemand anfassen, weil er eine unbekannte Größe ist. Die Kaiepa - die Schieber - halten sich an die Runner, die sie kennen, an diejenigen, mit denen sie schon persönlich zu tun hatten... auch wenn das bedeutet, daß sie sich mit einem Haivawa begnügen müssen, der nicht so gut wie der Neuankömmling ist. Zumindest wissen die Kaiepa ganz genau, was sie erwarten können.«
Ich nickte zögernd. Das ergab in einer geschlossenen Gemeinschaft mit wenig Bewegungsspielraum durchaus einen gewissen Sinn. Man wird nicht so bereitwillig auf eine unbekannte Größe setzen, weil man schnell selbst herausfinden könnte, daß es keine Fluchtmöglichkeiten gibt, wenn der Drek zu dampfen anfängt.
Eine Gruppe von Leuten - haufenweise schwarzes, beschlagenes Kunstleder - kam hereingeschlendert und ging zur Bar. Ich konnte ihre Streitlust von meinem Platz aus beinahe spüren. Neben mir sah Scott auf und grinste. -Da ist jemand, den Sie vielleicht kennenlernen wollen, Hoa «, sagte er zu mir. Dann hob er die Stimme. »Te Purewa. Hele mai.«
Einer der schwarzgekleideten Neuankömmlinge
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