Haus des Blutes
An die unschuldigen Kinder, die er zu einem Leben in Sklaverei verdammt hatte. Unaussprechliche, unverzeihliche Akte der Brutalität. All das hatte unerträglich schwer auf seinem Gewissen gelastet, das sich trotz wiederholter Versuche, es zu unterdrücken oder abzuschalten, noch immer bester Gesundheit erfreute. Er hatte zugelassen, dass die Umstände und eigenen Ängste seine Tugendhaftigkeit erstickten.
Er war zu einem Handlanger des Teufels geworden.
Aber das Schicksal hatte sich gewendet und ihm eine Gelegenheit zugespielt, für seine Taten zu büßen.
Eine Gelegenheit, die er dankbar genutzt hatte.
Nun gab es nur noch eine Sache, die es zu erledigen galt.
Er musste noch einen letzten Mann töten und auch seine Lippen für immer versiegeln.
Er drückte den Abzug.
Kapitel 14
Dies ist ein Traum. Ein Traum und doch wieder kein Traum. Eine überdrehte Reflexion oder Verzerrung der Realität, genau wie die seltsamen Visionen des Träumenden von der wunderschönen Frau namens Dream. Er durchlebt die Wahrnehmungen im klaren Bewusstsein, dass er schläft. Die Deutlichkeit, mit der sich die Szenen in seinem Kopf abspielen, verstört ihn. Sein Körper windet sich auf dem Bett hin und her, und er verbirgt sein Gesicht zwischen den Händen. Erst dann wird ihm bewusst, dass er nicht länger an die Bettpfosten gefesselt ist. Stattdessen befindet er sich ganz allein im Zimmer. Das ist sie also, die wundersame Gelegenheit, für die er gebetet hat, eine neuerliche Chance, von hier zu fliehen. Alles, was er tun muss, ist aufzuwachen.
Wach auf!, befiehlt ihm eine innere Stimme.
Aber er kann nicht.
Wie seltsam es doch ist, wie frustrierend, dieses doppelte Bewusstsein. Zu wissen, dass das, was sich in seinem Kopf abspielt, diesmal mehr ist als die übliche Darstellung abstrakter Eindrücke, welche ein Gehirn im Zustand der Ruhe heraufbeschwört. Es hat nichts Zufälliges an sich. Keine offene Symbolik. Er sieht zu, wie sich das Drama wie die Szenen eines Films entfaltet. Eines Films, von dem er seinen Blick nicht abwenden kann.
Er muss an den Typen aus Uhrwerk Orange denken, den singenden Sadisten, der festgeschnallt dazu gezwungen wird, eine Reihe grotesker Fotografien zu betrachten, während seine Augenlider mit Metallklammern offen gehalten werden. Das hier ist genauso. Irgendetwas fesselt ihn. Einzelstränge seines Gedankenfadens, an strategisch wichtigen Punkten verknüpft, verhindern, dass er vollständig in die reale Welt zurückkehrt. Er weiß, dass sein Körper ungefesselt auf dem Bett liegt, wie die sprichwörtliche Karotte am Ende der Schnur – immer ein kurzes Stück außer Reichweite. So nah, dass es ihn beinahe in den Wahnsinn treibt.
Nicht zum ersten Mal wird er von Verzweiflung heimgesucht.
Er befindet sich in einem Raum, der lediglich von Kerzenschein erhellt wird. Er kann es sehen. Er weiß, dass es nur ein Bild in seinem Kopf ist. Aber er ist dort. Wirklich dort. Er kann den Boden unter seinen Füßen spüren. Spürt die Wärme der flackernden Flammen. An der hinteren Wand steht eine Art Altar. Darauf liegt der nackte, leblose Körper eines Mannes in mittlerem Alter. Sein Brustkorb ist eingefallen, und die Rippen sind durch seine gelbe, wächserne Haut zu erkennen, so als hätte man ein Skelett mit Plastikfolie eingewickelt. Hand- und Fußgelenke sind mit Seilen gefesselt, eine Maßnahme, die völlig unnötig erscheint – nichts an diesem offensichtlich dem Tode geweihten Mann sagt »Fluchtrisiko«.
Der Mann ist bei Bewusstsein.
Und hat sich in sein Schicksal ergeben – aus seinem Mund ist kein Winseln um Gnade zu hören.
Aber der Träumende spürt noch etwas anderes als nur die reine Schicksalsergebenheit des anderen: Der Mann auf dem Altar scheint beinahe … begierig zu sein.
Ja, das ist es.
Er wartet begierig darauf, zu sterben.
Sehnt sich nach Erlösung im Anschluss an eine lange Zeit des Leidens.
Der Träumende – der womöglich gar nicht wirklich träumt – ist zu Tode erschrocken über diese Erkenntnis. Nicht um dieses Mannes willen, für den offensichtlich jede Hilfe zu spät kommt, sondern um seiner selbst. Weil er weiß, wie bereitwillig er sich in ein ähnliches Schicksal ergeben könnte. Es ist nicht besonders schwierig, sich dieses Gefühl der Klarheit vorzustellen, der glückseligen Akzeptanz in jenem letzten Moment vor dem Tod.
In dem Raum hat sich eine kleine Menschenmenge versammelt. Gut ein Dutzend Personen. Sie sind da, wie der Träumende annimmt, um Zeuge des
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