Haus des Blutes
Auslöschungen waren grandiose, meisterhafte Sinfonien der Zerstörung, ein Gemetzel von phänomenalem Ausmaß, und es fand stets außerhalb des Blickfelds der Außenwelt statt. Die Lücken zwischen der Welt, die die Menschen bewohnten, und den finsteren Ecken, die er aus dem Gewebe der Existenz erschuf, waren unüberwindbar.
Es sei denn, er ließ ein Überschreiten der Grenze ausdrücklich zu.
Was er, wie heute Abend, hin und wieder tat.
Er war sich noch nicht ganz sicher, konnte sich aber durchaus vorstellen, dass dieses Anwesen in den Bergen von Tennessee sein letztes Königreich sein würde. Das Gefühl der Rastlosigkeit schwand allmählich. Der Vorstellung, irgendwo anders noch einmal ganz von vorne zu beginnen, wohnte nichts mehr von ihrem ursprünglichen, belebenden Zauber inne.
Die Zeit.
Dieses rücksichtslose, tickende Ungeheuer.
Er wurde alt und einige seiner Leidenschaften verließen ihn.
Es gab ein Leben jenseits dieses Reiches. Das wusste er. Ein Fleckchen im Universum, an dem er möglicherweise mit anderen seiner Art zusammenleben konnte. Kein Jenseits, keine Nachwelt, wie sie der primitive menschliche Glaube erschuf, aber ein ganz ähnliches Konstrukt.
Sein Körper würde sterben und verwesen, aber sein Leben dennoch nicht enden. Er würde in dieses andere Reich aufsteigen, zu jenem erhabenen Ort des Lichts und der Wunder, und in einer neuen Hülle weiterexistieren. Einer Hülle aus Fleisch und Blut. Aber damit endete sein Wissen. Die wenigen Texte, die sich mit diesem Phänomen befassten, fielen in ihren Beschreibungen einfach zu vage aus.
Bei den Schilderungen, die er kannte, handelte es sich um handschriftliche Aufzeichnungen, die im Laufe der Jahrtausende von einem Angehörigen seiner Art an den nächsten weitergereicht worden waren. Die uralten Seiten hatten allein dank der schieren Konzentration seines Willens überdauert. Wenn er zu jenem anderen Ort emporstieg, würde es niemanden mehr geben, der diese magische Instandhaltung aufrechterhalten konnte. Die Seiten würden zerfallen, die Bindung würde sich lösen, und das zurückbleibende Häuflein Staub von der nächsten zufälligen Böe in sämtliche Himmelsrichtungen zerstreut werden.
Der Meister nippte an seinem Drink.
Gedankenvolle Falten gruben sich in seine Stirn, während er über all das nachdachte. Es gab keinerlei Garantie, dass er sein persönliches Nirvana tatsächlich erreichte. Er konnte ganz sicher nicht annehmen, dass es einfach so passieren würde. Die Götter forderten stetige Besänftigung und ständige Opfergaben. Die antiken Texte ließen in dieser Hinsicht keine zwei Meinungen gelten.
Tick, tack.
Das Beunruhigende daran war die Tatsache, dass er über keinerlei Maßstab verfügte. Es gab nichts, wonach er seine Bemühungen beurteilen konnte. Hatte er genug getan? Warum schwiegen die Götter? Eine melancholische Einsamkeit ergriff von ihm Besitz. Er sehnte sich schmerzlich nach der Gesellschaft von anderen seiner Art.
Er wurde wütend auf sich selbst.
Wie war es nur möglich, dass er so viele menschliche Schwächen übernommen hatte? Er ernährte sich auf beinahe schmarotzerhafte Weise von den Menschen, schöpfte lebenserhaltende Energie aus ihrem Entsetzen, aber nun fragte er sich, ob er dadurch womöglich auch einen Teil ihres Wesens und ihrer Fehler in sich aufgenommen hatte.
Eine weitere Möglichkeit in einer mittlerweile besorgniserregend umfangreichen Aufstellung.
Mit dem Glas in der Hand schlenderte er in seine Gemächer.
Seine »Gäste« würden schon bald eintreffen. Das Gefühl, dass das Mädchen namens Dream außergewöhnlich war, ließ ihn nicht los.
Etwas Besonderes.
Der Gedanke, den er bislang zu unterdrücken versucht hatte – weil es schlicht und ergreifend unmöglich war –, drängte sich mit voller Wucht in seine Wahrnehmung.
Das Weib war der Auslöser für seine untypische Episode der Melancholie und des Selbstzweifels.
Und für diese unangenehmen Betrachtungen über das endgültige Ende seines natürlichen Lebens.
Er seufzte tief, streckte sich auf seinem Sessel aus und schloss die Augen. Die Haut im Gesicht begann, sich aufzuwerfen und zu verschieben. Das Grau – aber nur ein Teil davon – wich aus seinem Haar. Neue Haare füllten kahle Stellen auf und machten die Illusion der sich abzeichnenden Stirnglatze zunichte. Die Kreatur auf dem Sessel sah nicht mehr wie der freundliche alte Herr aus, der er normalerweise zu sein vorgab, wenn Neuankömmlinge eintrafen.
Der Mann auf dem
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