Haus des Blutes
von ihm weg und riss an seiner Kette. »Komm jetzt.« Sie sprach über die Schulter hinweg mit ihm. »Und vergiss nicht, was echt ist. Vergiss es nicht.«
Chad stolperte hinterher. Er fühlte sich noch immer schwach, wie erschlagen und kurz vor dem körperlichen Zusammenbruch, aber Cindys Zusicherungen machten die Situation erträglich. Kurz darauf hatten sie das Sicherheitstor des Parkplatzes passiert. An das gedrungene einstöckige Gebäude, das an ihn grenzte, hatte jemand die Buchstaben SK gekritzelt. Chad nahm – korrekterweise – an, dass es sich um die »Sklavenkontrolle« handelte, die der Wachmann erwähnt hatte.
Cindy machte ihn mit den Fesseln an einem hölzernen Geländer vor dem Gebäude fest und ging hinein. Das Geländer erstreckte sich über die gesamte Länge des Hauses. Es erinnerte Chad an die Pfosten, an denen Cowboys im Wilden Westen ihre Pferde festbanden.
Chad vergewisserte sich, dass ihn niemand beobachtete, und warf die Fußeisen weg.
Drei weitere Sklaven waren an das Geländer gekettet. Unter ihnen befand sich auch eine dunkelhäutige Frau, etwa in Cindys Alter. Der junge Mann, der ihm am nächsten stand, wirkte zerbrechlich. Bei seinem Anblick krampfte sich Chad der Magen zusammen. Er schien dem Tod nahe zu sein. An einer Seite seines Körpers war eine gewaltige Wunde zu erkennen, eine raue Lippe aus geschwollenem Fleisch. Sie war stark entzündet. Der Mann hatte Fieber und glasige Augen. Er lachte, brabbelte etwas Unverständliches und schnappte nach Fliegen, die gar nicht da waren.
Er halluziniert, wurde Chad bewusst.
Der letzte Sklave war am anderen Ende des Geländers angebunden.
Ein kleines Mädchen.
Sechs, vielleicht sieben Jahre alt.
Chad biss die Zähne zusammen. Ein einziges Wort entwich zischend aus seinem Mund. »Böse.«
Das Wort erregte die Aufmerksamkeit des sterbenden Sklaven. Einen Moment lang – einem Moment, von dem Chad spürte, dass er nicht lange andauern würde – wirkten die Augen des Mannes klar und fokussiert. Er schaute Chad an und sagte: »Du bist neu.«
Chad nickte. »Ja, bin ich.«
Ein trauriges Lächeln huschte über das Gesicht des anderen. »Ich bin seit vier Monaten hier.« Er runzelte die Stirn, und sein Blick trübte sich erneut, bevor er wieder klarer wurde und sich auf Chad richtete. »Oder vielleicht auch vier Jahre. Ich hab’s vergessen. Ich kann dir leider keinen guten Rat geben, mein Freund. Im Großen und Ganzen bist du im Arsch.«
Chad lachte. »Das hab ich mir schon gedacht.«
»Halt einfach den Kopf unten.« Der Mann nickte, als wollte er die Bedeutung seiner Aussage bekräftigen. »Was auch immer sie dir antun, wehr dich nicht dagegen.« Er hob seinen Arm und ermöglichte Chad so freie Sicht auf die Wunde, die ihn unaufhaltsam umbrachte. »Das ist es nicht wert.«
Chad wandte den Blick ab. »Ich werd dran denken.«
»Und du musst Lazarus treffen.«
Chad legte die Stirn in Falten. »Wen?«
Aber das war das Ende ihrer Unterhaltung. Der dem Untergang geweihte Sklave schnappte wieder nach unsichtbaren Insekten und murmelte halb zusammenhängende, an Gott und – kurioserweise – den Late-Night-Talker Johnny Carson gerichtete Flüche. Chad hörte ihm nicht länger zu und inspizierte stattdessen seine Umgebung.
Das war also Unten.
Hier mussten die Menschen, die der Meister in die Verbannung geschickt hatte, den Rest ihres erbärmlichen Daseins fristen.
Unten war eine riesige Höhle. Die Decke mehrere Meter über ihm glich einem irdischen Himmel. Riesige Scheinwerfer tauchten die Umgebung in grelles Licht. Die Fahrrinne, die als Straße für die Transporter diente, wurde vom Parkplatz, dem SK-Gebäude und einer Ansammlung weiterer offiziell wirkender Bauten begrenzt. Dahinter war ein Stimmengewirr zu vernehmen.
Dann ertönte erneut der durchdringende Ton der Karnevalströte.
Zusammen mit den eigenartigen Geräuschen von geschäftigem Handel und Streitereien.
Mit diesem Ort stimmte so einiges nicht – was einer grandiosen Untertreibung gleichkam –, aber Chad ging davon aus, dass er trotzdem eine funktionierende Gemeinschaft mit einer gesellschaftlichen Grundordnung und, höchstwahrscheinlich, einem rudimentären Wirtschaftssystem besaß. Jeder Soziologe wäre fasziniert gewesen.
Chad hingegen empfand es als abstoßend.
Eine halbe Stunde später tauchte Cindy aus den Tiefen des Gebäudes auf und ein leises Lächeln umspielte ihre Mundwinkel.
Es war ansteckend und erinnerte ihn an …
Dream.
Chad wurde
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