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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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Stadt
    gefahren, und er hatte das ängstliche, verstörte Gesicht des Jungen noch in Erinnerung, der mit seiner Großmutter in die Taxe gestiegen war. Nella war im Kino. Sie war anders geworden, merkwürdig nervös, und er ahnte, daß sie ihm etwas verheimlichte. Er beschloß, mit Nella zu sprechen, während er den Bindfaden löste, der um den Karton gewickelt war. Die Adresse, die er in London darauf geklebt hatte, war noch leserlich: »Herrn Raimund Bach«, und er glaubte den Geruch des Klebstoffs zu riechen, flau riechende Mehlpappe, die er aus Leens Mehlresten mit ein wenig Wasser angemengt hatte, um die Adresse auf den Karton zu kleben.
    Er löste die Knoten, wickelte die Schnur ab, öffnete den Karton aber noch
    nicht. Er blickte in den Garten hinaus, wo Martins Freunde Fußball spielten, Heinrich und Walter, die sich Tore mit Milchbüchsen markiert hatten und stumm, verbissen, aber offenbar mit großer Begeisterung sich gegenseitig beschossen. Während er den Jungen zusah, dachte er an das Jahr mit Leen in London, ein schönes Jahr, in dem er sehr glücklich gewesen war, obwohl Leen, auch nachdem sie verheiratet waren, fast alle ihre Junggesellinnen Ȭ gewohnheiten beibehielt.
    Leen haßte Schränke, haßte Möbel überhaupt und warf tagsüber alles, was sie
    besaß, aufs Bett: Bücher und Hefte, Zeitungen und ihren Lippenstift, Obstreste in Papiertüten, Schirm und Hut, Mütze, Mantel und Schulhefte, die sie Ȭ am Nachttisch hockend Ȭ dann abends korrigierte: Aufsätze über die Vegetation Südenglands oder die Tierwelt Indiens. Alles häufte sich tagsüber auf ihrem Bett, und abends oder auch nachmittags, wenn sie sich aufs Bett legte, um die Abendzeitungen zu lesen, suchte sie nur sorgfältig die Brotstücke heraus, kippte mit einem energischen Ruck den ganzen übrigen Kram auf die Erde: Hefte, den Schirm, das Obst. Alles rollte unters Bett oder im Zimmer herum, und morgens klaubte sie alles wieder zusammen und warf es aufs Bett. Sie trug nur einmal ein richtig gebügeltes Kleid, an ihrem Hoch Ȭ zeitstag Ȭ Kapelle im Speisesaal einer Vorstadtvilla, wo der Kitsch so kitschig war, daß er fast großartig wirkte, der Geruch des gebratenen Frühstücksspeck in der Kutte des reizenden Franziskaners, sein merkwürdig klingendes Latein und sein noch merkwürdiger klingendes Englisch (bis daß
    Aber gerade an dem Tage, als Leen das gebügelte Kleid anziehen mußte Ȭ ihre Mutter war aus Irland gekommen, hatte das Kleid im Hotel aufgebügelt und sorgsam in einen Schrank gehängt Ȭ , gerade an dem Tag sah Leen scheußlich aus: Bügeleisen gehörten nicht zu ihren Requisiten: Bügeleisen waren zu schwer, und Kleider, die man bügeln mußte, standen ihr nicht. Während der ersten Monate nach der Hochzeit schliefen sie zusammen in Leens Bett, und er fand keine Nacht Schlaf, weil Leen unruhig war wie ein junges Pferd: Sie trampelte während des Schlafens im Bett herum, riß unten die Decke heraus und warf sie ab. Dauernd warf sie sich hin und her, und er bekam Fußtritte und Knüffe und lauschte den merkwürdigen, trockenen Lauten, die sie ausstieß. Dann knipste er mitten in der Nacht Licht an, blendete es mit einer Zeitung ab und las, weil es zwecklos war, an Schlaf zu denken, und er beschränkte sich darauf, geduldig die Decke immer wieder hochzuziehen und Leen hin und wieder in die Seite zu knuffen. Wenn sie für ein paar Minuten ruhig lag, wandte er sich ihr zu und sah sie an, sie lag da mit ihrem langen, braunen Haar, dem schmalen, bräunlichen Gesicht, dem Profil eines jungen rassigen Füllens. Später machte er das Licht aus, lag im Dunkeln neben ihr und war glücklich. Manchmal auch fiel etwas aus dem Bett, was in die Ritzen zwischen den Matratzen geraten war oder bei Leens. energischem Abendruck nicht auf die Erde gefallen war und sich nun durch ihr wildes Wälzen löste: ein Löffel oder ein Bleistift, eine Banane, und einmal war es ein hartgekochtes Ei, das über den zerschlissenen Teppich rollte und am Fußende des Bettes liegen blieb. Er stand auf, nahm das Ei, schälte es ab und aß es mitten in der Nacht, denn damals hatte er fast immer Hunger.
    Morgens, wenn Leen aufgestanden war, fand er meistens ein wenig Schlaf.
    Leen war Lehrerin an einer Nonnenschule in der Vorstadt. Er half ihr dann, ihre Schulsachen zusammensuchen, steckte ihr alles in die Ledertasche und hatte den Auftrag, den großen, zerbeulten Wecker zu beobachten, der Ȭ wie alle Gegenstände, die sie besaß Ȭ jeden Tag vom Bett auf den

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