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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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wußte, daß Bresgote diese Witze nehmen würde. Jedes dieser dünnen Papiere, die er vor fünfzehn Jahren in Londoner Kneipen bekritzelt hatte, würde ihm fünfzig Mark einbringen. Teilweise mußte er sie ein wenig zurechtschneiden, neu aufkleben, und manche waren noch ohne Text. Er hatte diese Blätter nie Leen gezeigt, weil er sie blöde fand, aber heute wußte er, daß sie gut waren, besser jedenfalls als das meiste, was er für Wochenend im Heim gemacht hatte. Ȭ Er wühlte einige Minuten in dem Karton herum, zog Blätter aus der Mitte, vom Ende des Stapels heraus und war erstaunt, wie gut sie waren. Einer der Jungen rief in die Diele: »Onkel Albert, Onkel Albert.« Er öffnete die Tür und fragte: »Was ist denn?« Er sah, daß es Heinrich Brielach war, der gerufen hatte, und Brielach sagte: »Dürfen wir uns auch ein Butterbrot
    machen? Wir möchten warten, bis Martin zurück ist.«
    »Das wird lange dauern.« »Wir warten.«
    »Wie ihr wollt Ȭ und natürlich könnt ihr euch Butterbrote machen.«
    »Oh, danke, vielen Dank.«
    Er schloß die Tür wieder, schob die lose herumliegenden Blätter wieder ineinander und legte sie in den Karton zurück.

    An diesem Tage war Leen morgens in die Schule gefahren wie immer, und er blieb den ganzen Morgen auf dem Zimmer, weil er an Plakatentwürfen arbeitete. Er zeichnete einen Löwen, der sich Senf auf eine Hammelkeule schmierte. Er hatte das Gefühl, daß es ein gutes Plakat werden würde, und der Mann, für den er es machte, hatte ihm ein gutes Honorar versprochen. Es war ein jüdischer Emigrant, den er in der Journalistenkneipe kennengelernt hatte, ein ganz entfernter Verwandter von Absalom Billig. Erst war der Mann sehr mißtrauisch gewesen, weil er ihn für einen Spitzel hielt, aber beim fünften Zusammentreffen hatte er ihm den Auftrag gegeben; er war in der Werbeabteilung einer Gewürzfabrik untergeschlüpft. Er arbeitete so verbissen, daß er nicht spürte, wie die Zeit verging, und er war sehr erstaunt, als Leen ins Zimmer trat. »Mein Gott«, sagte er, »ist es schon drei?« Aber als er sie küßte und sie ihm müde zulächelte, wußte er, daß es noch lange nicht drei war und daß Leen nach Hause gekommen war, weil sie sich krank fühlte. Ihre Hände waren heiß, und sie krümmte sich jetzt vor Bauchschmerzen. »Ich hab ȇ s schon länger«, sagte sie, »aber ich dachte, ich wäre schwanger, doch heute stellt sich heraus, daß ich nicht schwanger bin, und die Bauchschmerzen sind geblieben.« Er hatte sie nie mutlos gesehen, aber jetzt warf sie sich aufs Bett und stöhnte. Sie konnte nur mit Mühe sprechen, und als er sich über sie beugte, flüsterte sie: »Hol ein Taxi Ȭ im Bus war es schon schlimm, aber jetzt wird ȇ s immer schlimmer. Bring mich ins Krankenhaus.« Er nahm ihre Handtasche vom Bett, zählte ihr Geld, während er durch die Straße zum Taxistand lief: Es waren noch vier Pfund und eine Menge Kleingeld in ihrem Portemonnaie. Er setzte sich völlig zerstreut in ein Taxi, ließ es vor dem Haus halten und lief die Treppe hinauf. Leen hatte sich erbrochen, als er nach oben
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    kam, sie wimmerte, als er sie anpackte, um sie hinunterzutragen; sie schrie noch und erbrach sich wieder, als er sie die Treppe hinuntertrug. Frauen standen vor den Türen und sahen ihm kopfschüttelnd zu, und er rief einer der Frauen zu, sie möge doch auf das Zimmer achten, das offenstand. Die Frau nickte, und er sah ihr träges, blasses, vom Alkohol verstörtes Gesicht jetzt wieder vor sich, während er hörte, wie die Jungen in den Garten gingen. Mit Butterbroten in der Hand fingen sie wieder an, Fußball zu spielen.
    Im Auto hielt er Leen auf dem Schoß, um sie vor Erschütterungen zu
    schützen, aber sie jammerte immer noch laut und erbrach sich in die braunen, verschlissenen Polster hinein, und er dachte darüber nach, was er den Ärzten im Krankenhaus sagen mußte. Er fand das englische Wort für Blinddarmentzündung nicht, aber als das Taxi vor dem Krankenhaus hielt, rannte er mit Leen auf dem Arm die Stufen hinauf, riß die Tür zum Anmeldezimmer mit dem Fuß auf und rief: »Appendix, Appendix.« Sie schrie schrecklich, als er sie von seinem Arm auf das Sofa im Flur legen wollte, sie hatte sich jetzt ganz zusammengekrümmt und schien eine Stellung gefunden zu haben, die weniger schmerzhaft war, und obwohl er sie kaum noch halten konnte, hielt er sie auf dem Arm, lehnte sich an eine rötlich gekachelte Säule und versuchte zu verstehen, was sie ihm mit verzerrtem

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