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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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dann war es herrlich. Große Schließkörbe, Koffer und Pakete wurden zur Bahn befördert, zwei Taxen fuhren vor, und, die Kolonne im ersten Taxi anführend, fuhr die Großmutter zum Bahnhof: im Sommer und im Winter je einen ganzen Monat. Postkarten kamen von ihr: Berge, Seen und Flüsse und »Küsse, viele tausend Küsse für den Kleinen und für die anderen, sogar für die >ausgebüchste Nonne<«. Dann kicherte Bolda und sagte: »Ist ihr nicht an der Wiege gesungen worden, daß sie mal in Bäder reisen würde.« Große, krakelige Schriftzeichen bedeckten die Postkarten, deren jeder Buchstabe so groß war wie die Buchstaben auf Zigarrenkisten. Auch Päckchen schickte sie, klebrige, fremdartige, durch die Hitze auf Postämtern zusammengebackene Süßigkeiten, Spielzeug und Andenken und »viele, viele tausend Küsse, Deine Oma«.
    Wenn sie weg war, konnte er mit einer gewissen Zärtlichkeit und mit Rührung
    an die ferne Oma denken, weil er sich nicht unmittelbar bedroht fühlte, und es kamen sogar Tage, an denen er wünschte, sie möge da sein, denn das Haus war so leer und still ohne die Großmutter, und sie hatte ihr Zimmer abgeschlossen, und er konnte nie das große Foto vom Vater betrachten. Blut im Urin fand nicht statt.
    Und Bolda war ganz still und traurig, und es fiel ihm auf, daß nicht einmal
    Mutters zahlreicher Besuch das Haus so füllte, wie die Großmutter es füllte. Kam aber der Tag ihrer Rückkehr näher, wünschte er, sie möge fortbleiben. Er wünschte nie, sie möge tot sein. Leben sollte sie, aber weit weg, denn vor allem, beunruhigten ihn ihre Überfälle. Nach ihrer Rückkehr holte sie alles nach. Zuerst fand ein großes Essen im Hause statt. Sie telefonierte es sich heran, demütig blasse Knaben in weißen Kitteln schleppten silberne Schüsseln durch die Diele, und die Großmutter erwartete sie, lebhafte Gier im Auge, und in der Küche hielt ein Koch auf dem Gas die übrigen Gänge warm,
    schen Küche und Großmutters Zimmer ausübten. Blutige Steaks wanderten
    hin und her, Gemüse, Salate, Braten und gegen Ende des Essens telefonierte der Koch ins Restaurant, und ein flinkes, kleines, cremegelbes Auto brachte Mokka und Eis, Kuchen und Obst, mit Sahne dekoriert. Blutige Knochen lagen später im Abfalleimer, und die wilde Musik herausgerissener Schecks deutete das Ende des Essens und den Anfang seiner Tortur an, denn frisch gestärkt und an der frischen Tomahawk saugend, rief ihn die Großmutter zu sich herein, um das Versäumte nachzuholen. »Frage 51: Wann werden die Leiber der Verstorbenen auferstehen?«
    »Die Leiber der Verstorbenen werden auferstehen am Jüngsten Tage.«
    »Dein Vater ist gefallen, nicht wahr?« »Ja.«
    »Was bedeutet gefallen?«
    »Im Kriege gefallen Ȭ erschossen worden.«
    »Wo?«
    »Bei Kalinowka.«
    »Wann?«
    »Am 7. Juli 1942.«
    »Und wann wurdest du geboren?«
    »Am 8. Oktober 1942.«
    »Wie hieß der Mann, der deines Vaters Tod verschuldete?«
    »Gäseler.«
    »Wiederhole diesen Namen.«
    »Gäseler.«
    »Noch einmal.«
    »Gäseler.«
    »Weißt du, was es bedeutet, einem Kinde den Vater zu nehmen?«
»Ja.« Er wußte es.
    Drei Tage manchmal hintereinander rief sie ihn zu sich, und immer fragte sie dasselbe.
    »Was befiehlt Gott uns im sechsten und neunten Gebot?«
    »Gott befiehlt uns im sechsten und neunten Gebot, schamhaft und keusch zu sein.«
    »Wie lauten die Fragen bei der Gewissenserforschung über die Sünde der
    »Habe ich Unschamhaftes gern angeschaut?«
    »Habe ich Unschamhaftes gern angehört?«
    »Habe ich Unschamhaftes gern gedacht?«
    »Habe ich Unschamhaftes gewünscht?«
    »Habe ich Unschamhaftes gern geredet?«
    »Habe ich Unschamhaftes getan? (Allein oder mit anderen)« Er sagte es ganz genau dazu: »in Klammern: allein oder mit anderen.«

    Und der Abschlußvortrag: »Wenn du einmal größer bist, wirst du begreifen, warum... «
    Grebhake und Wolters hatten im Gebüsch Unschamhaftes getan: dunkelrote Gesichter, offene Hosenlätze und der bittere Geruch frischen Grüns. Verworrenes Getue und eine merkwürdige, erschreckende Feigheit auf ihren Gesichtern hatten ihn stutzig gemacht und ihn Finsteres ahnen lassen. Er wußte nicht, was Grebhake und Wolters getan hatten, wußte aber, daß es Un Ȭ schamhaftes gewesen war. Sie würden auf die letzte Frage, das sechste Gebot betreffend nicht nur Ja, sondern auch »mit anderen« sagen müssen. Seitdem er wußte, was Grebhake und Wolters getan hatten, beobachtete er scharf das Gesicht des Kaplans beim

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