Haus Ohne Hüter
Tennisspielen wenig lag. Was sie liebte, war der rotbestreute Platz und die grünen, heftig grünen Limonadenflaschen auf den weißen Tischen; die scharf riechende Luft, brackig riechende Wolken, die vom Rhein heraufkamen, Bitternis enthaltend, wenn gerade ein frisch geteertes Schiff vorbeifuhr, und die Wim Ȭ pel der Schiffe, die sich langsam oberhalb der Baumkronen bewegten Ȭ wie luftige Requisiten, die ein versteckt Sitzender hinter die Kulisse zog. Wolken pechschwarzen Qualms, das Tuten der Sirenen und das Geräusch der aufschlagenden Bälle, mildes Getrommel, das sich für Augenblicke steigerte, und die hellen, kurzen Rufe der Partner.
Der junge Held lief vorne vor dem Haus vorbei. Sie kannte ihn sogar: Diese
gelbliche Haut hatten nur die Nadoltes, gelbliche Haut und dennoch helles Haar, Pigmentverschiebungen seltsamer Art, die schon Wilfried Nadolte Ȭ dieses jungen Helden Vater — mit jenem pikanten Reiz ausgestattet hatten, von dem auch dieser Jüngling zehrte. Wahrscheinlich hatte auch er diesen hef Ȭ tig riechenden Schweiß, der auf der gelben Haut grünlich schimmerte und allen schwitzenden Nadoltes das Aussehen mit
Vitriol bespritzter Leichen verlieh. Sein Vater war als Flieger über dem
Atlantik abgestürzt, und niemals war seine Leiche gefunden worden. Doch dieser so hochpoetische Tod Ȭ »Ikarus, von tückischen Verfolgern erlegt«, hatte der Pfarrer damals gesagt Ȭ , dieser hochpoetische Tod hatte nicht verhindert, daß sein Sohn jetzt in einem schlechten Film mitspielte, Statist, der alles ernst nahm, doch spielte er seine Rolle gut: Er sah genau aus, wie schlechte Tennisspieler in schlechten Filmen aussehen müs Ȭ
sen.
Sie drückte die Zigarette in der schmalen Marmorrinne aus, die eine Spur Wasser vom nächtlichen Regen enthielt, und hängte den rechten Arm, der nun frei wurde, in die große Schlaufe aus Goldbrokat, die den Krieg überdauert hatte wie die Vorhänge. Als Kind hatte sie immer gewünscht, so groß zu sein, daß sie, am Fenster stehend, die rechte Hand in die Schlaufe legen konnte. Längst schon war sie so groß. Zwanzig Jahre lang schon hatte sie die Hand in die Schlaufe legen können.
Sie hörte die Geräusche von Martin, der hinter ihr am Tisch frühstückte; sie
hörte das kleine Schaben, wenn er die Kaffeemütze von der Kanne nahm, wenn er Brot bestrich, den Löffel am Marmeladentopf ausklopfte, Toast, zwischen seinen Zähnen knirschend, und den Schlag vernahm sie, den er traditionsgemäß dem leeren, umgekehrt im Eierbecher stehenden Ei versetzte: knacks, und das wimmernde Summen des elektrischen Rösters. Wenn sie früh genug aufstand, um mit dem Jungen Kaffee zu trinken, war um diese Zeit der Geruch leicht versengten Brotes im Raum, und das Rauschen vom Badezimmer her war zu hören, wo Albert sich wusch. Heute aber war das Rauschen nicht zu hören. Albert wusch sich offenbar nicht. »Ist Albert noch nicht auf?« »Doch«, sagte der Junge, »hörst du ihn nicht?« Sie hörte ihn nicht. Drei Tage hintereinander war sie jetzt früh aufgestanden, und schon hatte sie den Eindruck von Dauer und Regelmäßigkeit: Toast, Ei, Kaffee und das glückliche Gesicht des Jungen, der das morgendliche Frühstück mit der Mutter genoß, der ihr beim Tischdecken zusah, ihre Handgriffe beim Kaffee Ȭ Einschenken beobachtete. Draußen kam der junge Nadolte mit einem Mädchen zurück. Hübsch war sie und jung, und pflichtgemäß entblößte sie blendendweiße Zähne, die effektvolle
Stupsnase hielt sie Ȭ den Anordnungen der Regie entsprechend Ȭ erwartungsvoll in den sanften Südwind. Lächeln Ȭ und sie lächelte Ȭ , Kopfschütteln Ȭ und sie schüttelte den Kopf: gut trainierte Statistin, die dem Solo entgegenwuchs Ȭ würde auch sie den seltsamen Schweiß der Nadoltes zu riechen bekommen, der Ȭ wenn man sich in grünendem Gebüsch mit einem Nadolte küßte Ȭ ihren Gesichtern das Aussehen welker Salatblätter verlieh?
Jetzt erst hörte Nella das Rauschen im Badezimmer und wußte, daß Albert
sich wusch. Sie kannte ihn zwanzig Jahre, und er bildete sich wohl ein, sie zu kennen, aber in zwanzig langen Jahren hatte er nicht verstanden, welcher erotische Zauber für sie in den Waschutensilien eines Mannes verborgen war Ȭ und wie sehr es sie quälte, das Badezimmer mit ihm zu teilen. Jeden Morgen, wenn sie selbst sich wusch, verliebte sie sich in die Gleichgültigkeit, die sein Rasiergerät ausströmte wie einen Geruch, der Sympathie erweckt: Zärtlich glitten ihre Finger oft über
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