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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böl
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Tennis, Frauen ritten auf
    Pferden, Flugzeuge wurden von Frauen gesteuert, Frauen gingen in großen Gärten spazieren, schwammen durch ruhige Seen, Frauen fuhren Auto, Fahrrad, Motorrad, Frauen turnten an Barren, an Recks, warfen Diskus, Frauen, die alle lächelten, lächelten wegen etwas, das zuallerletzt eine lächelnde Frau strahlend allen, die es sehen wollten, hinhielt, eine große, dunkelgrüne Schachtel mit einem weißen Kreuzchen drauf: Ophelia.
    Er langweilte sich, auch als der Spielfilm anfing: Wein wurde getrunken, eine Messe wurde gelesen, das Tor zu dem Schloßpark wurde aufgestoßen, und ein Mann mit grünem Rock, grünem Hut, grünen Gamaschen ritt in eine Waldschneise hinein. Am Ende der Waldschneise stand die Frau in dem lila Kleid, die jugendfreie Frau mit der Goldborte um den Kragen herum. Der Mann sprang ab, küßte die Frau, und die Frau sagte: »Ich werde für dich beten, sei auf der Hut.« Noch ein Kuß, und die jugend Ȭ
    freie Frau blickte weinend dem Mann nach, der unbekümmert davonritt. Jagdhörner im Hintergrund, und der Mann mit grünem Hut, grünen Gamaschen und grünem Rock ritt durch eine zweite Waldschneise gegen den blauen Himmel an. Martin langweilte sich: Er gähnte im Dunkeln, es war ihm elend vor Hunger, und er schloß die Augen und betete Vaterunser, Ave Maria, schlief ein und sah Leo mit dem Mühlstein um den Hals auf den Meeresboden sinken — unendliche Tiefe, und Leos Gesicht war, wie es in Wirklichkeit nie war. Leos Gesicht war traurig, und er sank durch grüne Finsternisse, von Meeresungeheuern bestaunt, tiefer und tiefer.
    Er erwachte von einem Schrei, erschrak, fand sich mühsam in der Dunkelheit zurecht, und fast hätte er selbst geschrien. Langsam nur klärte sich das Bild vor seinen Augen: Der grüne Mann wälzte sich mit einem schlechtgekleideten Mann am Boden, der Schlechtgekleidete siegte, der grüne Mann blieb liegen, und der Schlechtgekleidete sprang auf das Pferd, peitschte es Ȭ oh, edles Blut Ȭ , und hohnlachend ritt der Schlechtgekleidete auf dem sich bäumenden Pferd davon.
    In einer Waldkapelle kniete die jugendfreie Frau vor einem Muttergottesbild,
    als plötzlich Pferdegetrappel im Walde zu hören war. Sie rannte vor die Kapelle; kannte sie nicht das Wiehern, das Trappeln des Pferdes, seines Pferdes? Schon glänzte ihr Auge heftiger, kam er zurück, von der Liebe getrieben? Nein, ein Schrei, ohnmächtig sank die Frau auf der Schwelle der Waldkapelle nieder, und hohnlachend ritt der Schlechtgekleidete an der Kapelle vorbei, ohne den Hut zu ziehen. Wer kroch da hilflos, wie eine Schlange sich windend, über den Boden der Schneise, das Gesicht von unsagbarem Schmerz verzerrt, aber keinen Laut über die Lippen bringend? Es war der gutgekleidete Grüne. Er schleppte sich auf ein Moospolster, blickte schweratmend gegen den Himmel.
    Und wer lief da in die Schneise hinein, flatternd das lila Kleid, tränend das Auge, aber laufend, laufend, suchend, rufend? Die jugendfreie war ȇ s.
    Der Gutgekleidete hörte sie. Wieder Waldkapelle, Hand in Hand stiegen die beiden die Treppe hinauf, der Gutgekleidete und die Frau, jetzt auch grün gekleidet. Er hatte den rechten Arm noch in der Binde, trug einen Verband um den Kopf, aber er konnte schon lächeln, schmerzlich, aber er
    Kapellentür auf, im Hintergrund wieherte das Pferd, und Vögel zwitscherten.
    Ihm war übel, als er langsam nach draußen taumelte. Er hatte Hunger, ohne es zu wissen. Draußen schien die Sonne, und er setzte sich wieder auf die Mauer der Tankstelle und dachte nach: Es war vier Uhr vorbei, und Onkel Leo war längst weg, und seine Wut auf Onkel Albert war noch nicht verflogen. Er schob den Ranzen auf der Schulter zurecht und ging langsam auf Brielachs Wohnung zu.

13

    Bresgote hatte ihn gebeten zu warten, und Albert ging in dem öden Zimmer auf und ab, blieb hin und wieder am Fenster stehen und beobachtete die Verkäuferinnen, die aus dem Warenhaus in die Kantine gingen: Sie hatten Eßbestecke in der Hand, Butterbrotpakete, ein Mädchen trug einen Apfel, und die aus der Kantine zurückkamen, blieben bei denen stehen, die über die Straße herüberkamen, und er hörte immer wieder, was er schon lange gerochen hatte, daß es Lauchgemüse gab, Bratwurst und Kartoffeln und einen Pudding, der ungenießbar war, rötliche Gelatinemasse mit angebrannter Vanillesoße übergossen, vor der die zurückkehrenden Mädchen die hineinströmenden warnten: »Nehmt um Gottes willen nichts von dem roten Zeug, es ist

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