Hausbock
Fehleinschätzung.«
»Hinterher war’s zu spät. Und das Urteil war ja nicht völlig aus der
Luft gegriffen. Es war nur an der obersten Grenze angesiedelt.«
»Wie hat denn Ihre Freundin darauf reagiert?«, fragte Hecht.
Morgenstern sah, dass sein Partner mit der verrauchten Luft kaum
noch klarkam und schon schnappte wie ein Karpfen im modrigen Teich.
»Herr Bachmeier, Ihren Qualm hier hält kein Mensch aus«, sagte er
deshalb bestimmt.
Bachmeier sah ihn verständnislos an. »Wieso, das ist doch ganz
normal.«
»In Ihrer Welt vielleicht, aber nicht in unserer. Oder wollen Sie
mit uns in Präsidium kommen?«
»Nein, das muss echt nicht sein. Also, gehen wir raus. Ist
vielleicht auch für meine Tierchen besser. Sie sind ja so sensibel.«
»Für wen?«, fragte Morgenstern verwirrt.
»Na, für die hier.« Bachmeier deutete auf einen der Glaskästen, der
sich in der Fensternische direkt hinter Morgenstern befand. Morgenstern hätte
beinahe den Kopf daran gelehnt.
Langsam drehte er sich um. Kein Aquarium, sondern ein Terrarium,
dachte er, schlampig mit einer alten Zeitung ausgelegt und mit ein paar
Kieselsteinen und Ästen dekoriert. Ein Terrarium mit Heuschrecken. Er lächelte:
Natürlich, Bachmeier hatte ein Faible für Insekten.
»Grashüpfer, wie niedlich«, sagte er und machte das Sprungfedergeräusch
»Doing, doing, doing«, das er von Grashüpfer Fips aus »Biene Maja« kannte.
Früher hatte er die Zeichentrickserie regelmäßig mit seinen Kindern im
Fernsehen angesehen. Er klopfte gegen die Scheibe und brachte eine der
Heuschrecken damit wie gewünscht in Panik.
»Doing, doing«, wiederholte Bachmeier süffisant. Dann deutete er auf
ein schwarz-braunes Knäuel, das unmittelbar vor Morgensterns Finger hinter der
Scheibe saß. Mit einem blitzschnellen Satz sauste das Knäuel auf das grüne
Insekt zu, und innerhalb weniger Sekunden war von Fips nichts mehr zu sehen als
ein paar lange Sprungbeine, die mit irren Zuckungen aus dem braunen Räuber
herausragten.
»Iiiih!«, schrie Morgenstern und schreckte entsetzt zurück. Panisch
drängte er aus der Eckbank heraus und blieb schwer atmend in der Mitte der
Stube stehen.
»Darf ich vorstellen: Das ist Igor«, sagte Bachmeier grinsend. »Ich
habe zwar schon öfter erlebt, dass Menschen ihn nicht mochten. Aber so
erschreckt hat sich noch keiner.«
Morgenstern brachte immer noch kein Wort heraus. Mit weit geöffneten
Augen starrte er auf das Terrarium.
Hecht ergriff die Initiative. »Jetzt beruhig dich, Mike. Das ist nur
eine Spinne, ein bisschen groß, gebe ich ja zu …«
»Eine Vogelspinne, um genau zu sein«, erläuterte der Hausherr. »Ich
habe noch ein paar weitere. Hier in dem anderen Fenster zum Beispiel und im
ersten Stock auch noch. Sehr interessante Tiere. Aber eben auch sehr sensibel.«
Morgenstern wich langsam zur Tür zurück, bemüht, nichts anzufassen,
so als könnte plötzlich aus jeder Ecke eines dieser Tiere auf ihn zuspringen.
Langsam fand er seine Sprache wieder. »Also … also gut … wir treffen
uns dann draußen.«
Mit großen Schritten verließ er das Haus, setzte sich ins Auto und
versuchte, sich durch besonders gleichmäßiges Atmen zu beruhigen. Als er wenig
später die beiden kommen sah, stieg er aus.
»Na, dann machen wir wohl mal weiter«, sagte er in möglichst geschäftsmäßigem
Ton. »Herr Bachmeier, wann haben Sie Richter Ledermann zum letzten Mal gesehen?
Oder machen wir lieber gleich Nägel mit Köpfen: Wo waren Sie in der Nacht, als
die Schwarzmühle abgebrannt ist?«
»Die Nacht zum Sonntag?« Bachmeier dachte kurz nach. »Da war ich
hier zu Hause und habe an meiner Arbeit geschrieben. Ich muss in vier Wochen
abgeben und schreibe sozusagen Tag und Nacht.«
»Und Ihre Mitbewohner können das bezeugen?«, fragte Hecht.
»Sicher. Fragen Sie sie ruhig. Ich gehe zurzeit allen auf den Keks
mit meinem Hausbock-Thema. Tut mir leid, Sie müssen Ihren Täter woanders
suchen. Richter Gnadenlos hat zwar überall verbrannte Erde hinterlassen. Aber
ich habe meinen Frieden mit ihm gemacht. Im Nachhinein tut er mir fast leid.
Ich wäre froh, wenn Sie herauskriegen würden, wer den alten Herrn auf dem Gewissen
hat.«
»Habe ich nicht vor ein paar Minuten noch aus Ihrem Munde die Worte
›reaktionärer Knacker‹ gehört?«, fragte Morgenstern ironisch.
»Es ist wegen Raphaela. Ich mag sie, und die Sache belastet sie
unglaublich.«
Morgenstern hatte Zweifel daran.
»Welche Beziehung hatte Frau Ledermann in letzter Zeit zu
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