Hausbock
keine Ahnung, was hier
draußen vorgeht. Ich sage nur ein Wort –«
»Kormoran?«, schlug Morgenstern vor.
»Ich sehe schon, wir verstehen uns«, sagte Esslinger strahlend. »Ich
helfe Ihnen, so gut ich nur kann.«
»Ein heller Stoffbeutel«, wiederholte Morgenstern.
Esslinger grübelte und rieb sich dabei das Kinn. »Es war irgendein
Aufdruck drauf. Was war das bloß?«
»Was für ein Aufdruck? Das kann wichtig sein, bitte strengen Sie
sich an!«
»Ich weiß es wieder«, sagte Esslinger sichtlich erleichtert. »Es war
eine Tasche von Jack Wolfskin. Outdoorausstattung. Ich habe einen Rucksack von
denen.«
»Jack Wolfskin. Stand das drauf?«, hakte Hecht nach.
»Ja. Ich meine, nein. Aber das Firmenlogo hab ich erkannt. Das
kennen Sie doch bestimmt auch. Eine Tierpfote.«
»Stimmt«, sagte Morgenstern. »Und die haben Sie auf dieser Tüte
gesehen?«
Esslinger nickte.
»Schade nur, dass Sie uns über den Fahrer so wenig sagen können.
Aber den kriegen wir«, zeigte sich Morgenstern siegessicher und gab Esslinger
seine Karte, für den Fall, dass ihm noch etwas einfallen würde. »Wir haben da
auch schon einen ganz konkreten Verdacht.«
»Ach wirklich?«
»Ja. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass uns dieser Beutel
weiterbringt. Von diesen Jack-Wolfskin-Stofftaschen gibt es wahrscheinlich
hunderttausend.«
Was nur bewies, dass in der Familie Morgenstern der Hausherr nicht
für die Kleidungseinkäufe zuständig war.
Im weiteren Verlauf des Nachmittags gab es im Büro noch viel zu tun.
Kevin Hofmeiers Motorrad wurde zur Fahndung ausgeschrieben. Eine
blaue Yamaha, wie sich herausstellte. Hatte der Angler nicht von einer
weiß-blauen Maschine gesprochen? Auf telefonische Nachfrage war Rudolf
Esslinger nur noch »zu fünfundneunzig Prozent« sicher. Hecht ließ sich von der
Zulassungsstelle die Daten sämtlicher Geländemotorräder geben, die zur
Beschreibung des Enkeringer Anglers passten. Sie beantragten bei der Sparkasse
die Einsicht in die Kontobewegungen des Richters.
Den Abschluss bildete eine Befragung der Eltern des jungen
Brandstifters. Das Ehepaar Hofmeier, das dafür ins Polizeipräsidium gefahren
war, war verzweifelt, beteuerte aber die Unschuld seines Sprösslings, was den
Brand der Schwarzmühle anging.
Am Abend rollte Morgenstern wie fast immer mit dem Zug von
Eichstätt-Bahnhof nach Eichstätt-Stadt. Die fünf Kilometer kurze Strecke, die
die Stadt mit der Hauptlinie München–Nürnberg verband. Eichstätts Nabelschnur
in die große, weite Welt. Eisenbahnfreunde seufzten vermutlich vor Glück, wenn
sie vom gottverlassenen »Hauptbahnhof«, der mitten im Wald lag und außer dem
Bahnhofsgebäude und einem Großparkplatz nichts zu bieten hatte, ins Altmühltal
hinabrattern durften.
Erst ging es durch einen kurzen, finsteren Tunnel, dann kam als
erste Haltestelle das Dorf Wasserzell, und von dort aus konnten die Reisenden
in der Ferne bereits die Willibaldsburg erkennen. Unterhalb der Burg hielt der
Zug noch direkt neben der Hofmühl-Brauerei, auf der anderen Seite des Tals
stand hier in Gelb und Weiß die riesige Anlage des ehemaligen
Augustinerklosters Rebdorf, die seit Jahrzehnten eine Realschule war.
Morgenstern konnte sich dieses Mal allerdings nicht recht auf die
landschaftlichen Reize konzentrieren. In der Reihe rechts vor ihm saß eine
junge Frau, die er bisher zwar nur von hinten gesehen hatte, die er aber nicht
mehr aus den Augen ließ. Ihre blonden Haare hatten einen kecken
Kurzhaarschnitt, und sie trug ein weißes Top. Was Morgenstern aber so an ihr
faszinierte, war eine großflächige Tätowierung, die sich über die gesamte linke
Schulter und von dort wer weiß wohin erstreckte. Morgenstern sah Blüten-und
Rankenwerk in Blau.
Zehn Minuten später stand er am Eichstätter Marktplatz und
inspizierte an der Rückseite einer Passage die Schaufenster des einzigen
örtlichen Tattoo-Studios. Was er sah, würde Fiona nicht gefallen, da war er
sich ganz sicher. Geschwungene, geflochtene dunkelblaue Bänder. Drachen,
Schmetterlinge, wie sie einst Steve McQueen im Ausbrecherfilm »Papillon«
getragen hatte. Ein steigendes geflügeltes Pferd. Kryptische asiatische
Schriftzeichen. Besonders verstörend fand Morgenstern, dass die Fotos allesamt
anscheinend unmittelbar nach der Nadelstecherei aufgenommen worden waren: Die
Haut war großflächig gerötet wie nach einem starken Sonnenbrand. Das sah nach
einer schmerzhaften Prozedur aus.
Für ein paar Augenblicke hegte er Zweifel an
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