Hausbock
schönes Anwesen«, sagte er dann. »Aber sicher nicht ganz
einfach. Viel Glück.«
»Sind alles noch ungelegte Eier«, betonte Morgenstern. »Wir hatten
den Besichtigungstermin erst gestern Abend.«
»Aber Sie sind aus einem anderen Anlass hier. Wir gehen am besten in
mein Büro, da können wir ungestört sprechen.«
Das Büro des Stadtbaumeisters, erreichbar über ein Vorzimmer, erwies
sich als lichtdurchfluteter großer Raum mit freiem Blick über den gesamten
Marktplatz. »Direkt unter mir residiert der Oberbürgermeister«, erklärte
Baisler und räumte auf einem riesigen Besprechungstisch Aktenstapel und
Baupläne zur Seite. »Wundern Sie sich bitte nicht, bei Baumeistern herrscht in
der Regel ein gewisses Maß an kreativem Chaos«, sagte er. »Das gilt auch dann
noch, wenn man wie ich in der Verwaltung tätig ist. Einen Espresso?« Als die
beiden Ermittler nickten, orderte er bei seiner Sekretärin drei Kaffee.
»Kreatives Chaos«, wiederholte er. »Das ist exakt das Gegenteil der
Welt, in der Rupert Ledermann lebte. Und trotzdem war er mein Freund.«
Er mühte sich um ein bitteres Lächeln, nahm die Brille ab, putzte
sie umständlich und wischte sich dann über die Augen.
»Rupert Ledermann und ich kannten uns schon seit unserer Kindheit.
Wir waren zusammen im Internat. Nach dem Abitur Ende der sechziger Jahre
studierte ich Architektur und Rupert Jura. Wir haben immer Kontakt gehalten,
vor allem Rupert hat ihn gesucht. Er hatte nicht viele Freunde, müssen Sie
wissen.«
Morgenstern nickte. »Das schien uns bisher auch so. Er hat es seinen
Mitmenschen wohl nicht immer leicht gemacht?«
»Nein, das hat er nicht.« Nachdenklich kaute Baisler am Ende eines
Bleistifts. »Rupert hatte von Anfang an einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn.
Fast schon radikal.«
»Wie muss man sich das vorstellen?«, fragte Hecht.
Baisler trank einen winzigen Schluck des mittlerweile servierten
Espressos. »Ich glaube, Rupert war der einzige Schüler bei uns, der damals in
seinem aktiven Wortschatz das Wort ›Unterschleif‹ hatte. Für ihn war auch
Abschreiben ein Verstoß gegen die Regeln, er hielt das für unanständig.«
Er versuchte sich erneut an einem kleinen Lächeln, diesmal gelang es
ihm.
»Es war keine Überraschung für uns, dass er später Jura studiert
hat. Seine Noten waren exzellent, und die Juristerei entsprach seinem Naturell.
Er ging in den Staatsdienst. Und als er eines Tages in den Landkreis Eichstätt
zog, war ich bereits hier, und wir nahmen wieder Kontakt auf. Das ist nun auch
schon wieder viele Jahre her.«
»Waren Sie oft bei ihm in der Schwarzmühle?«, wollte Hecht wissen.
Ledermann kaute wieder am Bleistift. »Ab und an«, sagte er. »Vielleicht
alle zwei Monate.«
»Dann haben Sie auch seine Renovierungsarbeiten begleitet?«, fragte
Morgenstern.
»Was heißt schon ›begleitet‹? Er ließ sich, wie es seine Art war,
nicht reinreden. Schon gar nicht von einem Architekten. Er hatte eine
regelrechte Architektenphobie. War der Meinung, die wollten in Wahrheit gar
nicht sanieren und renovieren, sondern einem alten Gebäude mit Gewalt ihren
eigenen Stempel aufdrücken.«
»Und?«, fragte Morgenstern. »Hatte er damit recht?«
»Das ist Ansichtssache. Rupert jedenfalls vermisste bei Architekten
grundsätzlich die Demut, wenn es um alte Bausubstanz ging.«
»Haben Sie mit ihm darüber gestritten?«, fragte Hecht.
»Nein, Streiten mit Rupert, das brachte nichts. Er war nicht der
Mann, der von seinen Grundüberzeugungen abwich. Aber ich habe versucht, ihm ein
wenig auf die Sprünge zu helfen.« Er lächelte. »Dem alten Sturkopf.«
»Wie das?«, fragte Morgenstern.
»Ich habe ihn zum Beispiel durch Eichstätt geführt. Ich habe ihm
gezeigt, was Architekten alles können, wenn sie mutig sind, wenn sie ein
Konzept haben. Kennen Sie den Ulmer Hof?«
Die Kommissare verneinten.
»Das frühere Humanistische Gymnasium in Eichstätt. Der ehemalige
Innenhof dieses barocken Bauwerks ist heute komplett mit Glas überdacht, es ist
der Lesesaal der Universitätsbibliothek.«
»Hat es unserem Dr. Ledermann gefallen?«, fragte Morgenstern.
»Er fand, dass es im Lesesaal zieht. Das sah ihm ähnlich.« Baisler
blickte wehmütig. »Oder das ehemalige Waisenhaus an der Ostenstraße.«
»Ist das dieses Ding mit dem großen öffentlichen Parkplatz dahinter,
dem Waisenhausparkplatz?«, fragte Morgenstern.
»Ich würde dieses wunderbare barocke Gebäude nicht ausgerechnet über
einen öden Parkplatz
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