Hausbock
Terminkalender
des Chefs, war wahlweise der Zerberus, der das Höllentor bewachte, oder der
heilige Petrus mit dem goldenen Schlüssel. An solchen Frauen führte kein Weg
vorbei. Und oft waren sie auch noch mit einem phänomenalen Gedächtnis gesegnet.
In Morgensterns Kopf machte es klick.
»Frau Müller!«, rief er der Sekretärin nach, etwas zu laut, wie ihm
zu spät auffiel.
»Ich bin nicht taub«, kam es aus dem Vorzimmer zurück, zum Glück in
freundlichem Ton. »Was gibt es denn?« Die Sekretärin erschien in der Tür.
Morgenstern griff sich Baislers Terminkalender, der immer noch offen
auf dem Konferenztisch lag, und warf einen Blick hinein. »Am vergangenen Montag
war hier eine Besprechung mit der Baufirma Obermeier. Dazwischen kam ein Herr
Ledermann hier ins Bauamt und wollte mit dem Stadtbaumeister sprechen. Ein
älterer Herr von zweiundsechzig Jahren.«
»Herr Ledermann …«, wiederholte Rosmarie Müller. »Das ist doch
der Mann, der in der Mühle im Anlautertal gestorben ist.«
»Korrekt«, sagte Morgenstern. »Herr Baisler hatte keine Zeit für
Herrn Ledermann. Aber vielleicht wissen Sie, was er von ihm wollte? Es muss ihm
wichtig gewesen sein, denn er hat lange gewartet.«
Rosmarie Müller schüttelte den Kopf, und Morgenstern hielt das
zunächst für ein bedauerndes Nein. Ein Irrtum, denn die Sekretärin sagte, mehr
zu ihrem Vorgesetzten gewandt:
»Das war ziemlicher Unsinn, was Herr Ledermann da wollte. Stellen
Sie sich vor: Er wollte Einsicht in unser Archiv bekommen. In sämtliche Akten
über private Denkmalschutzprojekte im Stadtgebiet in den vergangenen fünfzehn
Jahren.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich habe das natürlich
abgelehnt, aus Datenschutzgründen. Das war doch richtig, nicht wahr?«
Baisler nickte nachdenklich und kaute dabei schon am nächsten
Bleistift, den er kurz zuvor beiläufig von seinem Stehpult aufgelesen hatte.
»Wirklich seltsam. Was wollte er bloß mit diesen Informationen anfangen?
Glauben Sie mir, diese Unterlagen sind alles andere als spannend.«
Die Sekretärin zog sich wieder zurück und ließ die Männer allein.
Sie tranken ihren Kaffee aus und blickten eine Weile aus dem Fenster.
»Schön haben Sie es hier«, sagte Morgenstern schließlich. »Und
bestimmt eine schöne Aufgabe.«
»So, finden Sie? Manchmal würde ich mir wünschen, ich dürfte
kreativer sein. Architekten sind Künstler, keine Sesselfurzer. Aber was gibt es
hier schon zu planen? Die Stadt ist klein, hat Schulden. Da gibt es nicht viel
zu planen und zu bauen. Ich verwalte den Mangel. Und dann diese ständigen
kleinen Anfragen, hier eine Dachgaube, dort ein neuer Balkon oder, huch, ein
Neubau mit Doppelgarage. Ein neuer Fußgängersteg über die Altmühl ist das
höchste der Gefühle. Und ständig mischen sich die Leute vom Stadtrat ein und
der Oberbürgermeister. Und jeder weiß immer alles besser als einer, der das von
der Pike auf gelernt, studiert hat.«
»So geht es doch überall. Das ist das tägliche Brot«, sagte Hecht
mitfühlend.
»Graubrot, Graubrot«, sagte der Baumeister frustriert.
»Aber Sie haben doch eben erzählt, was es hier in Eichstätt an
phantastischer moderner Architektur gibt«, sagte Hecht. »Alt und Neu, Hand in
Hand.«
Der Baumeister stöhnte leise auf. »Stimmt, stimmt. Ich kann mir das
alles ansehen, genauso wie Sie und jedermann. Die Katholische Universität ist
in ganz Deutschland berühmt für ihre Bauten.«
»Ist doch spitze«, sagte Morgenstern aufmunternd.
»Aber nichts davon fällt in meine Zuständigkeit«, sagte Baisler
bitter. »Das ist alles Sache des Diözesanbaumeisters. Vergessen Sie nicht: Die
Eichstätter Hochschule ist eine katholische Universität. Da baut die Kirche,
und die Stadt schaut zu.«
»Sie haben doch einen guten Job. Bestimmt ordentlich bezahlt und
bombensicher.«
»Schmerzensgeld«, murrte Baisler. »Schmerzensgeld für entgangene
Lebensfreude. Aber wenn ich in drei Jahren in Pension gehe, dann geht’s noch
mal richtig zur Sache. Dann richte ich mir ein privates Büro ein, dann wird
gebaut. Ganz modern. Verlassen Sie sich drauf.«
»Viel Glück«, sagte Morgenstern und stand auf. »Wenn Ihnen zu Ihrem
Freund Dr. Ledermann noch etwas einfällt, rufen Sie uns bitte an.«
Bis zum Gesprächstermin mit Elvira Ledermann und Dragan Starcevic
war noch Zeit, und Hecht und Morgenstern schlenderten durch die Herzoggasse zur
Altmühl. Eine gewölbte Fußgängerbrücke führte über den Fluss, auf der anderen
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