Hausbock
ganzen Tag über immer wieder an seinen Alptraum denken müssen.
Die Bedienung brachte die Getränke auf einem Tablett. Fiona
verteilte die Gläser, hob dann feierlich ihre Sektflöte und verkündete: »Ich
habe mit der Bank alles klargemacht. In nicht einmal einer Woche unterschreiben
wir den Kaufvertrag für unser neues Haus. Mittwoch, zehn Uhr dreißig, ist
Termin im Notariat an der Weißenburger Straße.«
Morgenstern fiel das Herz in die Hose. »Na dann prost«, sagte er,
und es gelang ihm beim besten Willen nicht, ähnlich feierlich wie Fiona zu
klingen. Alle stießen an, wobei die Kinder kicherten. Morgenstern trank sein
Glas in einem Zug aus und hatte danach das Gefühl, er sollte den Sektkelch am
besten gleich nach altem russischen Brauch gegen die Wand werfen. Er winkte der
Kellnerin und bestellte sich einen Averna mit Eis. Auf diesen Schreck brauchte
er einen Magenbitter.
Fiona ignorierte die Bestellung und begann zu erzählen. Am Vormittag
habe die Immobilienmaklerin angerufen. Der Tierschutzverein sitze ihr im Nacken
und wolle das Haus so rasch wie möglich versilbern. Sie, Fiona, habe das als
Signal verstanden, dass der Preis noch nach unten gedrückt werden könne, und
habe die lächerlich niedrige Summe von fünfzigtausend Euro vorgeschlagen. Die
Maklerin habe nach Rücksprache mit der Vereinsvorsitzenden
fünfundfünfzigtausend angeboten. Und da habe sie, Fiona, zugeschlagen. Die
Sparkasse übernehme die Finanzierung, das habe sie alles noch am Vormittag
geklärt, berichtete Fiona mit leuchtenden Augen.
»Als die gehört haben, dass du Beamter bist, hätten die mir jeden
Kredit der Welt gegeben.«
»Das erinnert mich an die Lehman Brothers in Amerika«, moserte
Morgenstern. »Die haben den Leuten das Geld hinterhergeworfen, bis am Ende die
ganze Blase geplatzt ist. Ich sehe schon vor mir, wie ein Fernsehteam von RTL mit diesem Schuldnerberater vor unserer Tür steht.«
Mit näselnder Stimme ahmte Morgenstern den TV -Berater
nach: »Ich stehe hier vor dem Haus der Familie Morgenstern in Eichstätt. Das
Ehepaar hat mich zu Hilfe gerufen, weil die Zwangsversteigerung ihres
denkmalgeschützten Anwesens droht.«
»Ach, Mike«, sagte Fiona. »Das ist alles kein Problem. Das machen
wir mit links. Außerdem: Das mit dem Denkmalschutz ist noch gar nicht sicher.«
Morgenstern zog eine Schnute. »Mit mir redet ja keiner.«
»Ich habe zuerst bei der Stadtverwaltung angerufen. Das Haus ist in
die Denkmalliste eingetragen und natürlich schützenswert.«
Sie lächelte. »Deswegen kaufen wir es ja auch. Ich habe mich wirklich
in dieses Haus verliebt. Liebe auf den ersten Blick. Wie damals bei dir.«
Die Kinder stießen sich mit den Ellbogen an und kicherten wieder.
Morgenstern lächelte gequält. Ihm ging das alles viel zu schnell. War das
wirklich möglich, dass er innerhalb einer Woche zum Haus-und Grundbesitzer
wurde? Hier im Altmühltal, fernab von Nürnberg?
Sein Averna kam. Er hielt sich eine Weile an dem dickwandigen
eiskalten Glas fest. Spürte, wie seine schwitzigen Hände abkühlten.
Im Hintergrund dudelte aus einem Lautsprecher das Feierabendprogramm
des Regionalsenders Radio IN . Oldies. Morgenstern
brauchte einen Moment, bis er die Melodie erkannte: »Das alte Haus von Rocky
Docky« von Bruce Low.
»Das alte Haus von Rocky Docky hat vieles schon erlebt …« Er
begann, fast schon zwanghaft, mitzusingen »… kein Wunder dass es zittert,
kein Wunder dass es bebt. Das alte Haus von Rocky Docky sah Angst und Pein und
Not. Es wartet jeden Abend aufs neue Morgenrot.«
Die Kinder sahen ihn mit großen Augen an und kicherten nicht mehr.
»Nun lass mich mal weitererzählen«, drängte Fiona. »Die bei der
Stadt meinten, ich sollte auch beim Landesamt für Denkmalpflege in München
anrufen. Die hätten sich das Haus vor einiger Zeit schon mal angesehen.«
»Und?«
»Ich habe angerufen. Gleich danach.«
Morgenstern beugte sich nach vorn. »Was sagen die?«
»Sie waren sich nicht ganz sicher, was sie von dem Haus halten
sollen. Der Mann, mit dem ich telefoniert habe, war derselbe, der diese
öffentliche Führung am Kapellbuck gegeben hat. Der heißt Pfunder. Er kennt das
Haus und hat gesagt, dass es ein Grenzfall ist. Er wollte wissen, was wir damit
vorhaben.«
»Was hast du ihm gesagt?«, fragte Morgenstern.
»Umbauen. Und dass wir nicht sehr viel Geld haben. Denkmalschutz
wäre schwierig für uns, weil es da so viele Auflagen gibt. Er hat sich das
alles in Ruhe angehört und hatte viel
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