Hausers Zimmer - Roman
und Politi k …«
»Hm, gehts noch etwas ungenauer?«, stöhnte Falk.
Wiebke warf ihm einen genervten Blick zu. »Ich weiß das nicht so gena u … Klaus, wie mir schien, auch nicht.«
Dann fing sie an, über Klaus’ und ihre politischen Differenzen zu reden und davon, dass Klaus sich ihrer Meinung nach in »abstrakte Gedanken« verrenne, anstatt sich am Leben und am Menschen zu orientieren. Wiebke redete noch weiter in dieser schwammigen Art, und Falk und ich wussten nach einer Viertelstunde nicht mehr als vorher. Differenzen.
Wiebke fand es überhaupt nicht gut, so resümierten Falk und ich nachher auf dem Hochbett, dass unser merkwürdiger Vater ab morgen sieben Tage mit dem von merkwürdigen Ideen beseelten Specht in einer merkwürdigen Holzhütte im merkwürdigen Wendland hocken würde.
Auf unserem Hof zeichnete sich derweil ein Problem ab: Herr Kanz hatte Brust Nr. 27 und Brust Nr. 28 aufgerichtet, Herr Olk wiederum seine Urbane Collage gerade erheblich erweitert. Das verrostete Kinderbett hing von einem alten Garderobenständer, den Herr Olk hier und da silbern angesprayt hatte. Das in der Luft baumelnde Kinderbett stellte aus Sicht mancher Hausbewohner eine Gefahr dar. Wer wollte schon beim Müllwegbringen von einem schaukelnden Bett eine Kopfnuss verpasst bekommen? Wenn man ins Hinterhaus, zu den Mülltonnen oder zum Fahrradständer gehen wollte, blieb einem jetzt nur noch ein sehr schmaler Weg. Auf der nächsten Mieterversammlung würde es eine Diskussion darüber geben, hatte Klaus erzähl t – Ärger vorprogrammiert.
Immerhin kam niemand auf die Idee, den beiden Künstlern zu verbieten, unseren Hof als Atelier, Werkstatt und Ausstellungsraum zu nutzen. Ein Vorschlag war, die Künstler zum »Bauen in die Höhe« statt in die Breite zu animieren. Über ihre Kunsthalden wurde wie über Kletterpflanzen gesprochen, als sei es selbstverständlich, dass sie wachsen müssten . Aber gegen den Vorschlag »in die Höhe« hatten die Bewohner des ersten Stockwerks Einwände gehabt. Falk äußerte Verständnis für den Grottenolk. Er schlug sogar vor, unsere Mülltonnen in die Durchfahrt zu stellen, damit er sich weiter ausbreiten konnte.
An einem Nachmittag im September trafen Fiona und ich im Hof beim Fahrradabstellen auf Herrn Kanz. Er lupfte seinen Hut mit dem roten Stern und lachte Fiona an. »Komm mal, ich hab was für dich.«
Er rannte zurück in sein Souterrainatelier, seine schwarze Pluderhose wehte ihm um die Beine. Über einem löchrigen Norwegerpullover trug er eine Fellweste mit abgeschnittenen Ärmeln.
»Komm rein!«, rief er. Die Aufforderung schien nur Fiona zu gelten. Doch sie blieb neben mir zwischen den Brüsten stehen, auf denen sich gerade einige Tauben niederließen. Die Hoftür ging auf, Serife und Filiz liefen herein und nickten uns zu. Dann setzten sie sich in ihren weiten karierten Röcken auf die kleine Mauer vor dem Kanzschen Brustimperium, knabberten Sonnenblumenkerne und flüsterten in ihrer schönen Ü-Sprache miteinander.
Der Kanz kam zurück und wedelte mit einem Heftchen. »Mein neuer Katalog. Für dich und deine Mutter.« Der Katalog bestand aus ein paar zusammengetackerten Seiten mit Schwarzweißkopien. Die Kanzschen Skulpturen sahen darin wie Walfische aus. Fiona bedankte sich mit mäßiger Freude.
Plötzlich sprang Herr Kanz wie von der Tarantel gestochen um die Tauben herum und fuchtelte mit den Händen. »Los, weg hier! Das gibt’s doch nich t … überall Taubenscheiße! Geht zum Olk! Geht alle zum Olk!« Der Kanz vollführte einen regelrechten Derwischtanz. Aber die Tauben rührten sich nicht. Schließlich ließ er sich auf eine Brust sinken und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Im Treppenhaus fragte ich Fiona. »Was ist denn mit dem Kanz los? Will deine Mutter seine Brüste auf ihre Schals drucken? Gibt’s da irgendein interdisziplinäres Projekt?«
»Naja, so kann man’s auch nennen. Anna hat ihm Modell gestanden. Letztes Wochenende. Die Brust ist schon fertig. Jetzt muss ich mich immer mit dem Kanz unterhalten. Er hat schon Andeutungen gemacht, ob ich nicht auch ›verewigt‹ werden möchte. Der tut so, als würden seine Brüste in den Uffizien landen.«
»Und?«, kicherte ich.
»Nichts und!«, äffte Fiona mich nach und wurde im nächsten Moment still.
Herr Wiedemann kam uns mit seiner neuen, ungefähr vierzig Jahre jüngeren Freundin, vermutlich eine ehemalige Studentin, entgegen, die, wie er, einen magentafarbenen Nadelstreifenanzu g – mit
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